Wir waren bei einer Klima-Klebe-Aktion der Letzten Generation dabei und erzählen euch, wie so eine Blockade vorbereitet wird, wie sie abläuft – und warum die Aktivist:innen eine Rettungsgasse bilden.

  • Von Amelie Janitschek

Es ist noch dunkel, als ich bei der U-Bahnstation in Wien ankomme. Viele Menschen tummeln sich bereits am Gleis, aber niemand scheint zu der Gruppe zu gehören, die ich heute begleiten soll: Aktivist:innen der „Letzten Generation“. Doch schon einige Minuten später höre ich jemanden rufen: „Bonvalot?“ – Michael Bonvalot ist der Herausgeber von standpunkt.press, er hatte mit den Aktivist:innen geschrieben.

Ich nicke dem dunkelhaarigen mittelalten Mann zu, der mich angesprochen hat und gehe zu der Gruppe hinüber, die sich ungefähr 30 Meter von mir entfernt zusammengefunden hat. Sie besteht aus vier Männern unterschiedlichen Alters und einer jungen Frau. 

Nachdem wir uns alle vorgestellt haben, machen wir uns auf den Weg nach draußen. Es ist sieben Uhr und wir haben noch Zeit, bis es losgehen soll. Einige von ihnen holen sich einen Kaffee. Währenddessen versucht die junge Frau neben mir, ihren Fingerabdruck von ihrem Handy zu löschen. Falls die Polizei es ihr entwenden sollte.

Tischler und Aktivist

Als wir schließlich aufbrechen, beginnt es schon zu dämmern. Ich weiß nicht, wo sie mich hinführen, da ich im Vorhinein nur die Adresse des Treffpunkts bekommen habe. Während wir durch die Straßen spazieren, plaudere ich mit einem der Aktivisten. 

Er stellt sich als Wilfried Engel vor und versichert mir, dass es für ihn kein Problem ist, wenn ich seinen ganzen Namen im Artikel erwähne. Wilfried ist 62 Jahre alt und Tischler in Vorarlberg, wie er erzählt. Transparenz ist ein großes Anliegen der „Letzten Generation“ (LG). 

Die Aktivist:innen vermummen sich nicht und verwenden ihre echten Namen. Die Idee: Die Menschen sollen die Person hinter dem:r Aktivist:in sehen. Vielleicht können sie sich sogar mit ihnen identifizieren.

Generation Greta

Wilfried ist schon seit einigen Jahren im Klimaaktivismus aktiv, wie er sagt. Früher bei „Fridays For Future“, dann bei „Extinction Rebellion“ und nun bei der „Letzten Generation“. Er erzählt, wie er schon im Gymnasium „auf das Thema Klima konditioniert“ wurde. „Aber die eigentliche Brisanz der Sache ist mir erst seit Greta Thunberg wirklich bewusst geworden“.

In Folge fiel es Wilfried immer schwieriger, sein „konventionelles Leben“ normal weiterzuführen, sagt er. Er hätte zwar einige Veränderungen in seinem Alltag vorgenommen, „aber das sind doch alles nur Peanuts.“ Durch seinen Aktivismus erhofft er sich, Solidarität in der Bevölkerung auszulösen. Sein Ziel: “Die Bewegung wachsen sehen”, um so den Staat dazu zu bewegen, selbst aktiv zu werden.

“Alle sagen kurz, wie es ihnen geht”

Wir müssen unser Gespräch unterbrechen, weil wir schon fast am Ort der Aktion angekommen sind. Heute soll es insgesamt vier Aktionen vor Schulen in Wien geben, die LG will damit auf sichere Schulwege aufmerksam machen. Es ist der Auftakt einer ganzen Woche voller Aktionen in Wien.

Bevor es losgeht, kommt die Gruppe aus fünf Personen noch einmal zusammen, um das sogenannte „Check-In“ zu vollziehen. Sie stellen sich in einem Kreis auf und die junge Aktivistin Mina ergreift das Wort. 

„Wir gehen die Runde durch und alle sagen kurz, wie es ihnen geht.“ Die Stimmung in der Gruppe ist positiv, aber nervös. „Ich mache das schon so lange und trotzdem bin ich jedes Mal wieder aufgeregt. Vor allem in der Nacht vor einer Aktion, mache ich kaum ein Auge zu“, meint Wilfried.

“Wir gehen gemeinsam”

Nachdem alle ihre momentane emotionale Lage beschrieben haben, schauen sich die Mitglieder des Teams noch einmal in die Augen. „Wir gehen gemeinsam in Aktion, wir schauen aufeinander!“, sagt Mina. 

Sie sagt: „Jetzt lade ich euch dazu ein, euch eine Minute mit euch selbst zu verbinden: Warum machen wir das? Warum setzen wir uns dem aus? Schön ist es nicht, aber es ist notwendig!“ Alle schließen die Augen und denken noch ein letztes Mal über ihre Beweggründe und ihre Ziele nach. Dann geht es los.

Die Aktion beginnt

Wir sind an unserem Ziel angekommen, einer Schule in Wien. Der Zebrastreifen direkt vor dem Schulgebäude in der Gymnasiumstraße ist einer der vier Aktionsorte, an dem die Aktivist:innen sich heute ankleben werden. 

Als gerade kein Auto vorbeifährt, eilen vier von ihnen auf die Straße. Zwei Personen mit dem Rücken zueinander auf einer Spur, zwei Personen auf der anderen, auf beiden Seiten des Zebrastreifens. Nur zwei von ihnen werden sich ankleben. 

Eine Rettungsgasse wird vorbereitet

Eine Aktivistin erklärt den Grund: “So kann im Notfall sofort eine Spur für Rettungswägen oder andere Notfallsituationen geräumt werden”. In der Öffentlichkeit wird den Klima-Aktivist:innen oft der Vorwurf gemacht, dass sie verantwortlich wären, falls die Rettung nicht durchkommt. 

Doch offenbar bereiten sich die Klima-Schützer:innen gerade auf solche Situationen sehr gewissenhaft vor und haben bereits im Vorfeld eine Rettungsgasse geplant. Während die Aktion beginnt, stellt sich das fünfte Mitglied der Gruppe  an den Straßenrand, um das Geschehen zu filmen. 

Verfassungsschutz bei Klebeaktionen

Banner werden zwischen den Aktivist:innen aufgespannt, Warnwesten angezogen, dann setzen sie sich hin. Nicht einmal zwei Minuten später tauchen plötzlich ein Mann und eine Frau in Zivil auf. Sie fangen an auf die Gruppe einzureden, Funkgeräte in der Hand. 

Anfangs denke ich noch, dass es sich um Lehrer:innen aus dem Gymnasium handelt, aber dem ist nicht so. „Verfassungsschutz“, meint der Aktivist, der heute nur zum Filmen da ist, trocken zu mir. „Sie tracken vermutlich mein Handy.“

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Die Aktivist:innen kennen die beiden vom Verfassungsschutz bereits von früheren Aktionen. Und auch sie werden von den beiden Beamt:innen mit Vor- und Nachnamen angesprochen. „Sie haben ein Board mit Fotos von uns allen“, erzählt Mina später. „Der Geheimdienst hat uns mittlerweile am Schirm.“ Das ist keineswegs übertrieben. Der Staatsschutz hat bereits im November zugegeben, die Klima-Schützer:innen zu überwachen.

Autos hupen, es wird lauter

Es wird immer lauter auf der Straße. Autos hupen, Leute rufen Beschimpfungen. Langsam sammeln sich auch immer mehr Schüler:innen des Gymnasiums G19 am Straßenrand, um zuzuschauen. Ein paar filmen die Aktion, es gibt auch negative Kommentare.

Einer der Autofahrer:innen fängt an, lautstark mit einem der Aktivist:innen zu diskutieren. „Es tut mir leid, aber ich kann Sie nicht durchlassen“, wiederholt der auf der Straße sitzende junge Mann nur immer wieder. Dann höre ich die Sirenen, Blaulicht kommt auf uns zu. Insgesamt sind es vier Polizeifahrzeuge, ungefähr 15 Polizist:innen steigen aus.

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Die Aktivist:innen werden abgeräumt

Die zwei Aktivist:innen, die sich nicht angeklebt haben, werden sofort weggetragen. Während die Polizei ihre Daten aufnimmt, kommt die Frau vom Verfassungsschutz auf mich zu und verlangt von mir, mich auszuweisen. Eine rechtliche Grundlage gibt es dafür übrigens nicht: Ich bin keine Teilnehmerin der Blockade und in Österreich gibt es keine Ausweispflicht

Kurze Zeit später kommen Sanitäter:innen und beginnen zusammen mit der Polizei, die zwei übrigen angeklebten Aktivist:innen von der Straße zu lösen. Ungefähr zehn Minuten später ist alles vorbei, die Straße ist geräumt und auch die Masse der Schüler:innen am Straßenrand hat sich gelichtet.

Hat die Polizei gelernt? 

Der Polizeieinsatz läuft dann professionell ab, die Beamt:innen bleiben ruhig und sind nicht übergriffig. Einer der Aktivist:innen sagt, dass vor allem die Zeit, bevor die Polizei ankommt, für ihn immer die stressigste ist: „Da kann viel schiefgehen.“

Möglicherweise hat es hier in jüngerer Zeit Schulungen gegeben: Immerhin waren bis April 2022 mehrere Wiener Polizist:innen verurteilt worden, die bei einem Einsatz vor der Wiener Urania im Mai 2019 brutal gegen Klima-Aktivist:innen vorgegangen waren. Damals war unter anderem der Kopf eines Aktivisten unter einen Polizeibus gesteckt worden, der anfahrende Bus hätte ihn dann fast überfahren.

Doch auch in jüngerer Zeit gibt es Kritik: So berichteten erst im April 2022 Aktivist:innen nach der Räumung eines Wiener Klimacamps von Schlägen, Beleidigungen und sexualisierten Übergriffen im Polizeianhaltezentrum. Hier könnt ihr alles über die Vorwürfe der Aktivist:innen lesen.

Wilfried wird festgehalten 

Die Gruppe sammelt sich wieder am Straßenrand, packt ihre Warnwesten ein und reibt sich die Überreste des Superklebers von den Händen. Nur einer fehlt noch. Wilfried hat vergessen, dass er noch Kleber in der Tasche hatte und wurde von einem Polizisten um die Ecke geführt. 

Mit welcher Begründung jemand noch länger befragt wird, wenn er oder sie Kleber einstecken hat, ist nicht ganz ersichtlich. Doch kurze Zeit später ist auch Wilfried wieder da und die Gruppe macht sich auf den Weg in ein Cafe, um eine Nachbesprechung abzuhalten. Ich darf sie begleiten.

Die Schmerzgriffe aushalten  

Am Weg durch die Stadt stelle ich noch einige Fragen. Sie erzählen mir von ihren Vorbereitungstrainings für die Aktionen. Dort lernen sie unter anderem, wie man Situationen de-eskaliert. Nicht die Hände heben, sich kleiner machen als die andere Partei, immer freundlich und respektvoll bleiben, falls es zu Schmerzgriffen kommt – diese Griffe  aushalten.

Sie erzählen von Morddrohungen, die sie tagtäglich bekommen. Manchmal gegen die Gruppe, manchmal gegen einzelne Personen gerichtet. Ich frage, warum sie sich für diese Art des Aktionismus entschieden haben und nicht eine andere. 

Morddrohungen und Dealer 

„Uns geht es darum, die Junkies zu konfrontieren, nicht die Drogendealer“, sagt einer von ihnen. Er erklärt, was er damit meint: „Es wurde schon vor OMV-Zentralen demonstriert, das hat nichts gebracht. Die Drogendealer werden nichts verändern.Wir versuchen die Konsument:innen, die Junkies, die Bevölkerung aufzurütteln.“

Das ist gleichzeitig einer der Kritikpunkte von antikapitalistischen Linken an der Letzten Generation: Sie würden zwar mit ihren Aktionen für Aufsehen sorgen. Aber auch dafür, dass viele wütend würden, die zur Arbeit müssen, statt die Energie-, Beton- und Auto-Konzerne ins Visier zu nehmen.

Sehr harmlose Forderungen

Was wollen die Leute, die sich heute auf die Straße setzen? Die grundsätzlichen Forderungen der „Letzten Generation“ sind vor allem: Tempolimit 100 und keine neuen Gas- und Ölprojekte in Österreich. In Bezug auf die heutige Aktion betonen sie mehrmals: „Es geht uns um die Sicherheit der Schüler:innen. Wir wollen verkehrsberuhigte Zonen vor den Schulen schaffen.“ 

Eigentlich sehr harmlose Forderungen – die den menschengemachten Klimawandel alleine auch überhaupt nicht aufhalten würden. Das sieht auch Wilfried so: “Die Regierung macht sich vor allem lächerlich, wenn sie nicht einmal solche Forderungen umsetzt.”

Als wir schließlich in dem Cafe ankommen, schlägt Mina eine Check-Out Runde vor. „Wie geht es euch jetzt? Und was war euer schönstes Erlebnis dieser Aktion?“ Sie erklärt mir, wie wichtig es ist, diesen Austausch zu haben. 

Die Kassandras unserer Zeit

„Wir sind in einer regenerativen Kultur und wollen darauf schauen, dass es uns allen gut geht. Wir wollen nicht, dass einzelne Personen ausbrennen und versuchen deswegen, auch schlechte Erfahrungen als Gruppe aufzuarbeiten.“

Bevor sich die Gruppe auflöst und alle wieder ihre eigenen Wege gehen, tauschen sie sich noch über ihre persönlichen Erfahrungen mit „Klimadepressionen“ und Angstzuständen in Bezug auf den Klimawandel aus.

„Kennt ihr die Geschichte von Kassandra aus der griechischen Mythologie? Sie warnt alle vor einer kommenden Katastrophe, aber niemand glaubt ihr, obwohl sie Recht hat. So fühle ich mich. Aber wenigstens sind wir eine Gruppe von Kassandras.“

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