Indien ist das bevölkerungsreichste Land – und wird immer mächtiger. Entscheidungen von Premier Modi beeinflussen die Welt. Was kaum jemand weiß: Modi und seine BJP kommen direkt aus dem indischen Faschismus.

Diesmal ist es verdammt knapp: Indien und Pakistan schrammen im Frühjahr 2025 nur um Haaresbreite an einem großen Krieg vorbei. Erneut. Beide Staaten beschießen sich mit Raketen und Drohnen, dazu gibt es Bodenkämpfe. Es ist die jüngste Auseinandersetzung in einem jahrzehntelangen Konflikt. Besonders brisant: Sowohl Indien wie Pakistan sind Atommächte. Und eine Entwarnung ist nicht in Sicht.

So ist etwa der Verteilungskampf um das überlebenwichtige Süßwasser des Indus weiterhin ungelöst. Doch statt nach Lösungen zu suchen, üben sich die nationalistischen Regierungen beider Länder in Drohgebärden. Und Indiens Premier Narendra Modi gibt die Parole aus: „Wasser und Blut können nicht zusammenfließen.“ Es ist klassische Blut-und-Boden-Propaganda. Dazu hat Indien während des kurzen Kriegs auch noch die Ausweisung aller pakistanischen Staatsbürger:innen angeordnet.

Die BJP macht Wahlkampf im Bundesstaat Karnataka. Die Farbe Orange gilt im Hinduismus als heilig. Bild: Niranjankrishnamurthy007, CC BY-SA 4.0; Titelbild: Collage; RSS-Aufmarsch in Bhopal, Suyash Dwivedi, CC BY-SA 4.0; Propagandafoto der indischen Regierung.

Das erklärte Ziel von Modis Indischer Volkspartei (BJP), die die Regierung führt: die ethnisch-religiöse Säuberung des Landes. Indien ist mit über 1,4 Milliarden Menschen inzwischen das bevölkerungsreichste Land der Welt. Doch in Europa ist kaum etwas über die Politik und die faschistischen Wurzeln von Modi und seiner BJP bekannt. Höchste Zeit, das zu verändern!

Bis zu 2000 Menschen werden ermordet

Der westindische Bundesstaat Gujarat verwandelt sich im Frühjahr 2002 in ein Blutbad. Auslöser ist ein brennender Zug, über 50 Hindu-Pilger sterben. Sie waren am Rückweg von Ayodhya in Nordost-Indien – es ist einer der sieben heiligen Orte des Hinduismus und gleichzeitig eine nationalistische Hochburg. Vermutlich war der Brand des Zuges ein Unfall, doch das kümmert den hinduistischen Mob nicht.

Organisierte Attacken gegen Menschen aus der muslimischen Minderheit beginnen. Hunderte Häuser und Moscheen werden in den nächsten Tagen niedergebrannt, Frauen werden von Männergruppen zu Tode vergewaltigt, Kinder werden lebendig verbrannt, Menschen werden gefoltert und ermordet.

Brände in Ahmedabad, der größten Stadt von Gujarat, während der Pogrome von 2002. Bild: Aksi Great, CC BY 2.5

Am Ende der Pogrome sind bis zu 2000 Menschen tot, viele weitere sind verletzt und haben alles verloren. Die meisten Opfer sind Muslim:innen. In Europa kaum bekannt: Indien ist weltweit das Land mit der zweitgrößten islamischen Bevölkerung. Der muslimischen Minderheit in Indien gehören rund 200 Millionen Menschen an.

Faschistische Milizen führen den Mob an

Verantwortlich für das Pogrom von Gujarat ist ein Hindu-nationalistischer Mob, angeführt von der faschistischen Miliz „Nationaler Freiwilligenbund“ (RSS). Es darf niemanden verwundern: Wenn es in Indien zu Gewalt gegen Minderheiten kommt, ist der mächtige RSS mit seinen vermutlich mehr als fünf Millionen Mitgliedern niemals weit entfernt.

Der 1925 gegründete RSS ist strikt hindu-nationalistisch. Er ist damals das indische Gegenstück zu den faschistischen Organisationen, die zum gleichen Zeitpunkt in Europa, Japan und den USA auf dem Vormarsch sind. Feindbilder waren und sind vor allem Muslim:innen. Aber auch Angehörige niedriger Kasten und Angehörige indigener Volksgruppen geraten ins Visier der Rechten – wobei die niedrige Kastenangehörigkeit und die Zugehörigkeit zu indigenen Völkern oft miteinander einhergehen.

Aufmarsch der Jugendorganisation des RSS in Udaipur im Oktober 2013. Bild: Daniel Villafruela, CC BY-SA 3.0

Und der RSS ist auch ebenso militant wie die faschistischen Organisationen anderer Länder. Sogar Indiens Unabhängigkeitsführer Mahatma Gandhi wurde von einem bekannten RSS-Mann ermordet. Heute versuchen Hindu-Nationalist:innen, den Täter Nathuram Godse zu rehabilitieren. So behauptete etwa die damalige rechte Parlamentsabgeordnete Pragya Thakur im Mai 2020, der Gandhi-Mörder wäre „ein Patriot“ gewesen.

Menschen werden ermordet – die Polizei sieht zu.

Gujarat ist nicht das erste Pogrom in Indien, für das Hindu-Nationalist:innen verantwortlich sind: So werden zwischen Juni und Oktober 1984 bei Pogromen gegen die religiöse Minderheit der Sikhs tausende Menschen ermordet, viele von ihnen mitten in der Hauptstadt Delhi. Die Polizei? Sieht beim Pogrom gegen die Sikhs in den meisten Fällen nur zu.

Und den Pogrom leitet damals nicht nur der RSS an: Auch führende Politiker der sozialdemokratischen Kongresspartei sind beteiligt. Unter ihnen etwa H. K. L. Bhagat, Bürgermeister von Delhi und jahrelang Minister in der Zentralregierung. Der Kongress-Abgeordnete Sajjan Kumar soll sogar Geld und Alkohol an die Angreifer:innen verteilt haben.

Die Zerstörung der Babri-Moschee

Im Dezember 1992 zerstören dann über hunderttausend Hindu-Nationalist:innen die Babri-Moschee im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Vor der Zerstörung hatten religiöse Nationalist:innen bereits jahrzehntelang gegen die Moschee gehetzt, auch der Kongress beteiligte sich an der Kampagne. Die „Begründung“: Die 1528 errichtete Moschee in der bereits erwähnten „heiligen“ Hindu-Stadt Ayodhya stünde angeblich auf dem Geburtsort des Hindu-Gottes Rama.  Nun wird die Moschee komplett zerstört.

Bei den folgenden Unruhen werden in ganz Indien erneut tausende Menschen ermordet. Auch danach nehmen indische Faschist:innen Moscheen regelmäßig ins Visier: Im Februar 2020 etwa veröffentlicht das indische Medium „The Wire“ ein Video.

„Ehre dem Gott Rama“

Darauf zu sehen ist die Erstürmung und Plünderung einer Moschee mitten in der Hauptstadt Delhi. Doch sogar, als die Angreifer:innen Teile der Moschee in die Luft sprengen, taucht die herbeigerufene Polizei nicht auf. Das berichten Anrainerinnen später gegenüber The Wire. Bei der Attacke brüllen die Angreifer:innen die Parole „Jai Shri Ram“ – „Ehre dem Gott Rama“, nach dem Sturm hissen sie auf der Moschee die Flagge von „Hanuman“, einem Gott in Affengestalt. Die Gottheit steht im Hinduismus als Symbol für Stärke und Macht.

Angeführt werden die Nationalist:innen bei all diesen Pogromen und Angriffen zumeist vom „Sangh Parivar“, der sogenannten „Familie des RSS“. Zu dieser „Familie“ gehören neben den RSS-Milizen auch der religiöse „Weltrat der Hindus“ sowie zahlreiche Medien, Berufsverbände und Sozialorganisationen.

Modis „Familie“: Der faschistische Kern der indischen Regierungspolitik

Besonders bedeutend aber ist der politische Arm dieser „Familie“: Denn das ist die BJP von Premier Modi. Die rechte Partei hatte auch die später zerstörte Babri-Moschee bereits ab Ende der 1980er Jahre zu einem zentralen Kampagnen-Thema gemacht. Nach der Zerstörung der Moschee werden dementsprechend auch zahlreiche BJP-Politiker vor Gericht gestellt.

Und wir reden hier nicht von kleinen Fischen: Unter den Angeklagten ist sogar der BJP-Mitgründer und ehemalige stellvertretende Premierminister Lal Krishna Advani. Doch im August 2020 werden alle Angeklagten freigesprochen. Und auch politisch haben die Pogrome der BJP nicht geschadet. Ganz im Gegenteil.

Modi wurde schon als Kind Mitglied der faschistischen Miliz

Bereits seit 2014 ist Narendra Modi nun Indiens Premierminister. So kennen wir ihn aus den weltweiten Medien. Was allerdings in Europa kaum bekannt ist: Modi ist auch ein langjähriges Führungsmitglied des RSS. Er ist sogar bereits seit seiner Kindheit tief im „Sangh Parivar“ verankert: Der Jugendorganisation des RSS trat Modi bereits im Alter von acht Jahren bei. Ein älteres Foto zeigt den damals jungen Modi auch als Redner in der traditionellen RSS-Uniform samt den charakteristischen kurzen Hosen.

Die typischen braunen RSS-Hosen sorgen 2016 übrigens sogar für eine Welle der Berichterstattung in Indiens Medien. Denn nachdem der RSS die – reichlich seltsam aussehenden – Hosen nach 91 Jahren geändert hatte, zieht eine Welle von Spot durch Indien. Die faschistische Miliz muss sogar ein Pressestatement veröffentlichen: Nein, die Änderung der Hosen hätte nicht das Ziel, mehr Jugendliche anzuziehen. Kann stimmen. Muss nicht stimmen.

 

Modi jedenfalls trägt auf dem älteren Foto noch die traditionelle Uniform samt den komischen Hosen. Einzig der große Schlagstock fehlt auf dem Bild. Bei RSS-Aufmärschen dagegen ist der sogenannte „Lathi“, ein Schlagstock aus Bambus, fester Bestandteil der faschistischen Ausrüstung. Der Umgang mit diesem über einen Meter langen Schlagstock wird auch regelmäßig geübt.

Mit Modi gewinnen die Täter:innen

Und mit der BJP an der Regierung gewinnen auch die Täter:innen der Pogrome: Seit 2024 steht auf dem Gelände der zerstörten Babri-Moschee ein großer Hindu-Tempel. Die eindeutige Positionierung von Modi und der BJP zeigte sich aber auch schon viel früher. So stellte die BJP auch während des eingangs erwähnten Pogroms von Gujarat im Frühjahr 2002 die Regierung im Bundesstaat. Der damalige Regierungschef von Gujarat ist ein alter Bekannter: Narendra Modi.

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Die Opposition und die Opfer werfen Modi nach den Morden vor, dass er den faschistischen Mob in Gujarat gewähren ließ und der RSS beteiligt gewesen wäre. Er streitet das in einem Interview im März 2002 ab. Es gäbe „keine Diskriminierung“, behauptet er damals. Und das nationalistisch-religiöse Pogrom hätte ohnehin „nicht mit Religion“ zu tun gehabt.

Modi, der Mann der „Hindutva“

Als indischer Premier ist BJP-Führer Modi zwar etwas vorsichtiger geworden, doch seine Wurzeln vergisst er nicht: Ende März 2025 etwa besucht der frühere RSS-Hauptamtliche Modi ganz offiziell das Hauptquartier der Faschisten und verbeugt sich dort am Schrein für RSS-Gründer Keshav Baliram Hedgewar. Symbolträchtig steht die RSS-Zentrale übrigens in der Millionenstadt Nagpur – und damit exakt in der geographischen Mitte Indiens.

Es ist nicht Modis erster Besuch in Nagpur: So machte er etwa auch im Juli 2013 seine Aufwartung – also genau im Jahr vor seiner Wahl zum Premierminister. Es ist zu diesem Zeitpunkt nicht nur ein Besuch, sondern auch ein Signal: Modi ist der Kandidat der sogenannten „Hindutva“ – also der autoritären und national-religiösen Bewegung.

Die ideologische Basis diese Bewegung bilden drei Grundsätze: Rashtra (gemeinsame Nation), Jati (gemeinsame Abstammung) und Sanskriti (gemeinsame Kultur und Zivilisation). Die Leitsätze erinnern nicht zufällig an die Blut- und Boden-Ideologie „westlicher“ Nazis und anderer Faschist:innen.

Die Erfindung des Hinduismus durch die Kolonialmacht

Für den Aufstieg der Hindutva im beginnenden 20. Jahrhundert ist auch die britische Kolonialmacht verantwortlich. Denn so etwas wie einen einheitlichen „Hinduismus“ gab es davor schlichtweg nicht: Es sind verschiedene Religionen mit teils ähnlichen, teils unterschiedlichen Konzepten – der Vergleich mit den drei „abrahamitischen“ Religionen Christentum, Islam und Judentum liegt nahe.

Erst die britische Kolonialmacht presst die unterschiedlichen religiösen Vorstellungen am Subkontinent in das Korsett „Hinduismus“. Diese neu geformte Religion stellen die Brit:innen dann dem Islam gegenüber. Es ist die klassische Teile-und-herrsche-Politik der Kolonialherren. Und indische Nationalist:innen übernehmen die britische Erfindung dankend.

Premier Modi verbeugt sich im März 2025 vor dem Schrein für RSS-Gründer Keshav Baliram Hedgewar in Nagpur. Propagandabild: Indische Regierung

Unumstritten ist das nicht: So sieht Mahatma Gandhi, Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung, den Hinduismus möglicherweise eher als philosophischen Schirm, unter dem sich verschiedene Ideen sammeln können. Einmal schreibt er sogar: „Ein Mensch kann nicht an Gott glauben und sich trotzdem Hindu nennen.“ Gandhi gilt auch als Mann, der den Ausgleich mit der musliminischen Minderheit sucht und sich gegen das Kastensytem ausspricht – was ihm den Hass des RSS einbringt. Gleichzeitig wird Gandhi im „Westen“ allerdings oft verklärt.

So war er etwa keineswegs Pazifist: im Ersten Weltkrieg rekrutierte er sogar Soldaten für die britische Kolonialmacht. Und als nach dem Zweiten Weltkrieg in Indien revolutionäre Streiks beginnen, verurteilt Gandhi den Aufstand. Besonders ins Visier nimmt Gandhi 1946 die Meuterei von mehr als zehntausend Matrosen gegen die Kolonialherren in Bombay/Mumbai, die die rote Fahne auf den Schiffen hissen. Das sei laut Gandhi ein „schlechtes und unwürdiges Beispiel“. Doch bleiben wir noch beim Hinduismus! Auch viele Nazis sind damals vom Hinduismus begeistert – allen voran „Reichsführer SS“, Esoteriker und Kriegsverbrecher Heinrich Himmler.

Die Verbindungen zwischen den Nazis und der Hindutva

In Gesprächen mit seinem Vertrauten Felix Kersten soll Himmler gar Hitler mit dem indischen Gott Krishna verglichen haben. Ebenso wie Krishna sei Hitler eine Wiedergeburt, er sei aus der „tiefsten Not“ des „Germanentums“ entstanden. Und Himmler nimmt sich auch das indische Kasten-System zum Vorbild.

Die SS solle sein wie die Kshatriya, die indische Kriegerkaste. Das notiert Himmler bereits 1925, wie Viktor und Viktoria Trimondi für ihr Buch „Hitler Buddha Krishna – Eine unheilige Allianz von Dritten Reich bis heute“ recherchiert haben (das Buch ist nur noch antiquarisch erhältlich). Warum das hierarchische Kastensystem zum Vorbild des Naziführers wird, ist offensichtlich.

Die strikte Trennung von Ständen und Klassen samt „gottgegebener“ Herrschaft der Eliten ist eben auch für westliche Faschist:innen sehr attraktiv. Dass das indische Kastensystem in seiner heutigen Form ebenfalls ein Erbe des britischen Kolonialismus ist? Wen kümmern schon historische Kleinigkeiten. Und die Bewunderung beruht auf Gegenseitigkeit: Im Zweiten Weltkrieg kämpfen dann mehrere tausend Inder sogar auf Seite der Nazis und Faschist:innen.

Indische Truppen auf Seiten der SS

Die „Indische Legion“ ist Teil der SS und kämpft für die Nazis unter anderem in den Niederlanden, Frankreich und Italien. Bei den faschistischen Verbündeten Italien und Japan werden ebenfalls indische Truppen aufgestellt. Angeführt werden die indischen Nazi-Truppen von Subhash Chandra Bose, der auch mit Nazi-Führer Adolf Hitler zusammentrifft. Und Bose ist gleichzeitig eine zentrale Figur der neueren Geschichte Indiens.

Der ehemalige Vorsitzende der Kongress-Jugend gilt damals als Führer der Partei-Linken, er war Bürgermeister der Großstadt Kolkata (damals Kalkutta) gewesen und 1938/39 sogar kurzfristig Kongress-Vorsitzender. Die vordergründige Motivation von Bose und seinen „Legionären“: Durch die Zusammenarbeit mit den Nazis und dem japanischen Faschismus wollen sie die verhasste britische Kolonialmacht loswerden.

Treffen von Bose und Hitler

Doch tatsächlich steckt wohl mehr dahinter. Bose hatte vor dem Zweiten Weltkrieg in Europa gelebt, er kannte den europäischen Faschismus also sehr genau. Dennoch wird er zum Bewunderer des italienischen Faschistenführers Benito Mussolini und fordert eine „Synthese“ der Linken und des Faschismus. Bose stirbt schließlich bei einem Flugzeugabsturz im August 1945 im japanisch besetzten Taiwan. Trotz der Zusammenarbeit mit dem Faschismus ist Bose vor allem im nordöstlichen Bengalen (mit der Metropole Kolkata) bis heute sehr populär – sogar der Flughafen von Kolkata trägt seinen Namen.

Bose ist wohl auch ein gutes Beispiel für die Stimmung einer Schicht indischer Aktivist:innen in jener Zeit: Egal mit wem, doch Hauptsache gegen den britischen Kolonialismus. Es erklärt bis zu einem gewissen Grad auch die bis heute existenten Sympathien indischer Nationalist:innen für Nazi-Deutschland – doch liegen die Wurzeln eben auch in den ideologischen Gemeinsamkeiten zwischen der Hindutva und dem Nazi-Faschismus.

„Ein höflicher Begriff für Faschismus“

Die bekannte indische Schriftstellerin Arundhati Roy warnt bereits seit Jahren eindringlich vor Modi, der BJP und der „RSS-Familie“. Schon 2020 schrieb sie in einem Artikel: Hindu-Nationalismus sei nicht mehr als „ein höflicher Begriff für Faschismus“.

In einem ausführlichen Gespräch mit der indischen Zeitung The Wire sagt Roy dann 2022: „Die RSS-Ideologen haben bekanntlich offen Mussolini bewundert; sie haben Hitler bewundert; sie haben Muslime als das Äquivalent zu den Juden in Deutschland bezeichnet“. Und Modi und der RSS seien „von Natur aus faschistisch“.

Apropos Ideologie: Ein weiterer zentraler Pfeiler des RSS ist eine zölibatäre Lebensweise. Die Hindu-Faschisten verlangen von ihren Kadern sogar ein Gelöbnis zur Enthaltsamkeit. In Modis rechtsnationaler Biografie gibt es dabei allerdings einen Schönheitsfehler: Jahrzehntelang hatte der 1950 geborene Modi behauptet, er wäre nicht verheiratet.

Wie ist das jetzt mit dem Zölibat?

Modi macht damit bei seiner ersten Kandidatur 2014 sogar Wahlkampf: Nur eine Person ohne familiäre Bindungen könne die Korruption im Land effektiv bekämpfen, behauptet er etwa bei einer großen BJP-Kundgebung. Und, so der spätere Premier: „Ich bin Single, für wen sollte ich korrupt sein?“ Doch bald muss er zugeben, dass er bereits seit Jahrzehnten verheiratet ist. Modis Bruder behauptet danach in einer Stellungnahme, dass die Ehe nie vollzogen worden wäre.

Modi bei einem Auftritt in Delhi. Propagandabild: Indische Regierung

Ob das stimmt, lässt sich naturgemäß nicht überprüfen. Gleichzeitig zeigt auch die Unterstützung evangelikaler Christ:innen für Donald Trump: Wenn jemand politisch nützlich ist, sind ein paar dezente Widersprüche in der Biografie selten ein Problem für religiöse Gruppen.

Rassismus und Wissenschaftsfeindlichkeit als Regierungsprogramm

Und an der Regierung liefern Modi und die BJP dann auch. Nicht immer genug, um die faschistischen Bedürfnisse des RSS vollständig zu befriedigen. Doch genug, damit die Milizen und die „Familie“ Premier Modi weiter stützen. Für die einschlägige Ausrichtung sorgt dabei nicht nur der Premierminister allein: Auch BJP-Vorsitzender J. P. Nadda und viele andere Führer der Partei kommen aus dem RSS.

Die Errichtung eines Hindu-Tempels über den Trümmern der zerstörten Babri Masjid-Moschee ist dabei nur ein Beispiel für Signale an die äußerste Rechte. An der ideologischen Front hat Indien im Juli 2023 sogar die Evolution, das Periodensystem und andere zentrale Elemente der Wissenschaftsgeschichte aus Lehrplänen entfernen lassen. Gleichzeitig will sich Indien allerdings zunehmend als Technologie-Großmacht positionieren – ein Spagat, der nicht funktionieren kann.

Indische Großmacht-Bestrebungen

Apropos Großmacht: Die Modi-Regierung will auch international an Gewicht gewinnen. So pflegt Indien trotz des Kriegs gegen die Ukraine weiterhin beste Verbindungen zum Kreml. Russland versorgt die Modi-Regierung mit billigem Öl. Im Gegenzug fließt Geld, mit dem das Putin-Regime den Krieg gegen die Ukraine finanzieren kann.

Mit dem Russland-Verbündeten China hat Indien dagegen seit Jahrzehnten einen tief gehenden Konflikt, es geht um die Grenzziehung im Himalaja-Gebirge. Immer wieder kommt es an der umstrittenen Grenze zu militärischen Auseinandersetzungen. Im Oktober 2024 wurde der Grenzstreit nach offiziellen Angaben zwar teilweise gelöst. Wie nachhaltig das ist, muss sich aber erst zeigen – China ist immerhin auch noch eng mit Indiens Erzrivalen Pakistan verbündet.

Der Konflikt mit China

Beim kurzen Krieg zwischen Indien und Pakistan im Mai 2025 etwa sollen pakistanische Kampfflugzeuge auch drei indische Jets aus französischer Produktion abgeschossen haben. Die pakistanischen Jets waren in China gefertigt worden, laut dem pakistanischen Außenminister Ishaq Dar habe China deshalb seine „große Freude zum Ausdruck“ gebracht.

Dazu soll China beim Abschuss der indischen Jets sogar mit notwendigen Satellitendaten geholfen haben. Auf anderen Ebenen dagegen arbeiten Indien und China sogar zusammen. So sind beide Staaten Gründungsmitglieder im Wirtschaftsbündnis BRICS. Dem Bündnis gehören auch Ägypten, Brasilien, Indonesien, der Iran, Russland und Südafrika an.

Treffen von Modi und Putin 2015 im Kreml. Propagandabild des Kreml, CC BY 3.0

Verbunden sind die beiden Großmächte Indien und China auch durch die gemeinsame Mitgliedschaft in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). Sowohl BRICS wie SOZ gelten allerdings als reichlich fragil und haben unklare Ziele – in der SOZ ist sogar Indiens Kriegsgegner Pakistan gleichberechtigt dabei.

Millionen von Muslim:innen verlieren die Staatsbürger:innenschaft

Die Kriegsgefahr, die Großmacht-Bestrebungen und die zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit in Indien werden vor allem mittel- und langfristig wirken. Sehr unmittelbare Folgen dagegen haben die rassistischen Maßnahmen der BJP-Regierung. Vor allem ist da seit 2019 das neue Staatsbürgerschaftsgesetz: Muslim:innen sind seitdem vom Erwerb der Staatsbürgerschaft weitgehend ausgeschlossen.

Doch sehr viele Menschen in Indien haben schlicht keine Dokumente – mit diesem Gesetz wurden sie staatenlos gemacht. Amnesty International (AI) etwa berichtete 2021 über Abdul, der zu diesem Zeitpunkt in einer Hafteinrichtung für „illegale Einwanderer“ in Nordindien inhaftiert ist.

Hass und Hetze gegen Menschen aus der muslimischen Minderheit

Abdul ist wie seine Eltern in Indien geboren, sie haben stets dort gelebt. Doch der muslimischen Familie fehlte das Geld, um in der ineffizienten Bürokratie Indiens offizielle Dokumente zu besorgen. 2019 hat die BJP dann im Wahlkampf eine weitere Kampagne gegen muslimische Menschen begonnen.

Der Modi-Vertraute Amit Shah rief offiziell zur Vertreibung der „Termiten“ auf – so nannte er Menschen mit muslimischem Hintergrund. Nach der Wahl hat die wiedergewählte BJP-Regierung dann zuerst beschlossen, dass alle Menschen zu „illegalen Einwanderern“ erklärt werden, falls sie nicht nachweisen können, dass sie oder ihre Vorfahren bereits vor März 1971 in Indien gelebt hatten.

„Ich werde hier sterben“

Wenige Monate später folgte das rassistische neue Staatsbürgerschaftsgesetz – es macht den Erwerb der Staatsbürgerschaft für Menschen aus der muslimischen Minderheit de facto unmöglich. Amnesty International erklärt die unglaublichen Folgen der beiden kombinierten Maßnahmen für den inhaftierten Abdul so: „Er hat keine Hoffnung auf eine Entlassung, sein Cousin Ali hat sich vor zwei Monaten in einem anderen Internierungslager im Bezirk Tezpur in Assam das Leben genommen.“

Abdul selbst hat laut AI bereits völlig resigniert: „Niemand kehrt jemals aus den Haftanstalten zurück“, sagt er. Und er fügt hinzu: „Ich werde hier sterben.“ Das offensichtliche Ziel der BJP-Regierung und der Hindutva: Eine möglichst weitgehende ethnisch-religiöse Säuberung Indiens.

Neoliberaler Niedergang

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Wie lange die BJP ihre Politik noch umsetzen kann, ist allerdings ungewiss: Nach der Wahl im Frühjahr 2024 musste die Partei erstmals seit 2014 eine Koalitionsregierung formen – bei den beiden vorangegangenen Wahlen hatte der BJP-Wahlblock noch die absolute Mehrheit erreicht. Im nationalen Parlament, der Lok Sabha, hat die Koalition aus BJP und zahlreichen kleineren (meist regionalen) Parteien eine knappe Mehrheit von rund 54 Prozent.

Die BJP profitiert dabei vom Mehrheitswahlrecht in Indien: 2024 kam sie mit gerade einmal 36,6 Prozent der Stimmen auf 240 der 543 Mandate in der Lok Sabha. Von einer absoluten Mehrheit ist das weit entfernt. Verantwortlich dafür sind wohl auch die drängenden sozialen Probleme im Land.

Wie die meisten rechten Parteien ist auch die BJP nicht nur nationalistisch, sondern strikt neoliberal. Die bittere Bilanz des Ökonomen Dipa Sinha in der führenden indischen Tageszeitung „The Hindu“: Die finanziellen Mittel für die meisten Sozialausgaben wie Bildung, Gesundheit, Sozialversicherung oder Pensionen würden „entweder stagnieren oder nur nominal [also mit der Inflationsrate] steigen“.

Nationalismus, während Menschen verhungern

Und das ist für viele Menschen buchstäblich lebensbedrohend: Laut Welthunger-Index sind in Indien aktuell rund 14 Prozent der Bevölkerung unterernährt. Fast ein Fünftel der Kinder unter fünf Jahren leidet unter Auszehrung – und sogar ein Drittel aller Kinder vor dem fünften Geburtstag sind wegen Mangelernährung wachstumsverzögert.

Grafik: Welthungerhilfe

Insgesamt rund 200 Millionen Menschen sollen in Indien aktuell an Unterernährung leiden, viele Menschen sterben vor Hunger. Der Nationalismus dient in dieser Situation als Ablenkung, das bekannte rechte Prinzip: Teile und herrsche.

Die größte Partei der Welt

Mit ihrer Politik hat sich die BJP inzwischen eine enorme Verankerung in der indischen Gesellschaft aufgebaut: Nach eigenen Angaben hat die Partei im Herbst 2024 erstmals die Grenze von 100 Millionen Mitgliedern überschritten. Es ist keine unrealistische Angabe.

In Indien leben gegenwärtig rund 1,46 Milliarden Menschen – somit wären satte sieben Prozent der Bevölkerung Mitglied der BJP. Und der Anteil an der Wahlbevölkerung ist noch weit größer: Die Gesamtbevölkerung umfasst auch Kinder, Jugendliche und alle Menschen, die die Staatsbürgerschaft nicht nachweisen können.

Damit wäre die BJP in absoluten Zahlen die größte Partei der Welt. In einem Land mit so brutalen sozialen Verhältnissen sind soziale Hilfen für viele Menschen überlebenswichtig. Und eine Studie von 2024 zeigt, dass Haushalte, die von Sozialleistungen profitierten „mit größerer Wahrscheinlichkeit“ zur BJP wechselten.

Nur die „soziale Frage“? Nein, das Problem sitzt viel tiefer in der indischen Gesellschaft

Die Studie kommt aber auch zum Schluss, dass rein sozialpolitische Erklärungen zu kurz greifen: Die Zustimmung zur BJP könne nicht allein mit Sozialprogrammen erklärt werden, so die Autor:innen. Die Ergebnisse würden im Gegenteil darauf hindeuten, „dass Ideologie und Identitätspolitik wichtigere Faktoren sind, die die steigende Popularität der BJP erklären“.

Protest in Bangalore nach der Massenvergewaltigung und Ermordung einer Frau im Dezember 2012 in Delhi. Bild: Jim Ankan Deka, CC BY-SA 3.0

Im Klartext: Es geht um viel mehr als die soziale Frage oder klassische Klientelpolitik. Die BJP und die „RSS-Familie“ haben auch ideologisch große Teile der indischen Bevölkerung hinter sich. Selbst wenn die BJP bei der nächsten Parlamentswahl 2029 doch abgewählt werden sollte: Schnelle Lösungen sind damit nicht in Sicht, solange es nicht gelingt, den Nationalismus zurückzudrängen. Zur Hetze gegen Minderheiten passt die weit verbreitete Frauenverachtung.

Zwangsehen sind an der Tagesordnung, weibliche Föten werden abgetrieben, immer wieder werden Massenvergewaltigungen bis zum Tod der betroffenen Frau bekannt. Die Opfer der Vergewaltigungen kommen oft aus unteren Kasten, die Polizei schützt in vielen Fällen die Täter. Teilweise werden Massenvergewaltigungen sogar von lokalen Autoritäten angeordnet.

Die Gulabi-Gang konfrontiert Sexisten

Amnesty nennt etwa einen Fall aus dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh. Der nicht gewählte Dorfrat hatte die Vergewaltigung einer Frau und eines jungen Mädchens angeordnet. Die beiden Schwestern aus der untersten Kaste der Dalits mussten mit ihrer Familie aus dem Dorf flüchten.

Doch immer mehr Frauen und ihre Unterstützer:innen wehren sich. Immer wieder gibt es Massenproteste und Streiks nach Vergewaltigungen. Die legendären Frauen der „Gulabi-Gang“ gehen dazu mit ihren Lathi-Schlagstöcken auch militant gegen Sexisten, Offizielle und die Polizei vor.

Sie kämpfen gegen Sexismus und häusliche Gewalt, aber auch gegen Kasten-Rassismus, Korruption und soziale Ungerechtigkeit. Die Gulabi-Gang hat auch Ausbildungs- und Unterrichtsstätten für Mädchen und Frauen aufgebaut. Und Männer droht Gulabi-Gang-Gründerin Sampat Pal Devi schon einmal vor einer Heirat: „Wenn Du sie schlägst, werde ich zurückkommen.“ Die Männer wissen genau, was das für sie bedeutet.

Indien wird immer bedeutender

Schon seit 2023 ist Indien sogar weltweit das Land mit den meisten Einwohner:innen, China liegt nur noch auf Platz zwei. Indien ist inzwischen einer der großen Player in einer zunehmend multipolaren Welt – neben den USA, der EU und China (Russland dagegen wird wohl zur chinesischen De-facto-Kolonie werden).

In China allerdings wird die Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten drastisch zurückgehen, es fehlen Geburten und Zuwanderung. Für Indien dagegen wird ein weiteres Wachstum prognostiziert. Das bedeutet: Mehr Arbeitskräfte und auch mehr potentielle Soldat:innen. Auch das sollten wir nicht außer Acht lassen. Dazu exportiert Indiens Regierung ihre Ideologie: So werden auch aus dem mehrheitlich hinduistischen Nepal immer öfter Attacken gegen andere religiöse Gruppe gemeldet.

Wir müssen verstehen, was da passiert

Für sehr viele Menschen in Europa ist Indien politisch bis heute eine unbekannte Größe. Doch wir müssen verstehen, was in Indien passiert: Die Großmacht in Südostasien wird von einer extrem rechten Regierung mit faschistischen Wurzeln regiert. Hindu-Nationalist:innen ermorden regelmäßig bei Pogromen tausende Menschen. Die Wissenschaft wird zugunsten religiöser Propaganda zurückgedrängt.

Die Modi-Regierung treibt dazu Millionen von Menschen in die absolute Rechtlosigkeit und deportiert sie wegen ihrer Religion in Internierungslager. Und die Hindu-nationalistische Ideologie des Krieges ist so brutal, dass sie sogar von der SS übernommen wurde.

Es ist höchste Zeit, dass wir uns damit auseinandersetzen.

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