Arden ist non binär. Er hat mit uns über die Herausforderungen des Queer-Seins in Wien, über mühsame Bürokratie und über geschlechtsanpassende Operationen gesprochen.

Als ich das Cafe betrete, sehe ich Arden sofort. Kurze brünette Haare, Nickelbrille, ein grauer übergroßer Pulli, Kopfhörer in den Ohren – Arden, wie er leibt und lebt. Nervös lächelnd steht er auf, um mich zu umarmen. Er ist sich wohl nicht ganz sicher, auf was er sich hier eingelassen hat.

Der 21-jährige Arden definiert sich als non binär. Non-binäre Personen (oft auch englisch “non binary”) fühlen sich weder als Mann noch als Frau. Ihre Geschlechtsidentität kann männliche oder weibliche Anteile haben, sie kann irgendwo dazwischen liegen – oder sie kann auch ganz außerhalb dieser Kategorien sein. Arden verwendet auf Deutsch das männliche Pronomen, also “er”. Einfach sei das nicht gewesen, sagt Arden: “Das war ein schwieriger emotionaler Prozess mit viel Ausprobieren von Namen und Pronomen.” 

Arden hat sich schon als Kind über seine Identität Gedanken gemacht

Nachdem wir uns einen Kaffee bestellt haben, geht es auch schon los. “Ich habe mir schon als Kind über das Thema Gedanken gemacht”, erzählt er. “Aber das war anders. Es war mir unangenehm, wenn ich nicht als Mädchen gelesen wurde.” Nicht, weil er sich in seiner weiblichen Rolle wohl gefühlt habe, “sondern weil ich nicht so gesehen wurde, wie ich angeblich sein sollte.“ Das erste Mal, dass das Thema seiner Geschlechtsidentität tatsächlich aufgekommen ist, war vor ungefähr drei Jahren: 

“Ich wurde von einer Freundin darauf angesprochen, wollte mich aber nicht weiter damit auseinandersetzen“, erzählt er. Nach diesem ersten Gedankenanstoß hatte Arden das Thema aktiv verdrängt, sagt er. Bis ihn seine jetzige Freundin vor einem knappen Jahr ein weiteres Mal darauf angesprochen hat. 

Schwieriger als erwartet

Schnell kommen wir auf die Schwierigkeiten und Herausforderungen zu sprechen, die damit einhergehen, wenn jemand sich außerhalb – oder zwischen – den traditionellen Geschlechteridentitäten verortet. Arden erzählt, wie unangenehm es ihm immer noch ist, andere Menschen zu korrigieren, wenn sie die falschen Pronomen oder den falschen Vornamen verwenden. „Ich tue es meistens noch nicht – oder eigentlich habe ich es noch nie gemacht.“ 

Bild: Privat

Bereits öffentliche Toiletten stellen ein Problem dar. Mittlerweile hat Arden auf Frauenklos das Gefühl, er würde einen Bereich für sich beanspruchen, der ihm nicht mehr zusteht. Aber auch auf Männertoiletten fühlt er sich unwohl. Eine sehr einfache Lösung wären Unisex-Toiletten. An der Universität stellen sich für Arden auch Probleme, mit denen er nicht gerechnet hat.

Auf der Uni-Online-Plattform „Moodle“ etwa kann der Vorname nicht verändert werden. Bei Abgaben weiß Arden nicht, welchen Namen er hinschreiben soll. Wird das sonst im System falsch registriert? In Seminaren wird er mit falschem Namen aufgerufen. Outet er sich jetzt vor allen oder lässt er es einfach über sich ergehen?

Divers, offen, inter?

Wer den eigenen Vornamen oder das Geschlecht in Österreich offiziell verändern möchte, muss für die verschiedenen Dokumente ziemlich viel Geld bezahlen. Doch zumindest der offizielle Akt der Namensänderung ist für Menschen mit einer Geschlechtsidentitätsänderung mittlerweile billiger als normalerweise. Dabei kann in Österreich zwischen sechs Geschlechtskategorien gewählt werden: “Weiblich”, “männlich”, “inter”, “offen”, “divers” und “keine Angabe”.

Klingt sehr liberal, macht aber tatsächlich eher wenig Sinn: Denn die Begriffe „divers“, „offen“ und „inter“ werden synonym verwendet. Sie dürfen ausschließlich von Personen angenommen werden, die auf biologischer Ebene nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordenbar sind. Arden würde sich wünschen, sich auch offiziell „non-binär“ nennen zu dürfen. Stattdessen müsste er jetzt “keine Angabe” wählen.

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Arden stellt eine berechtigte Frage: “Warum werden in der österreichischen Bürokratie nicht dieselben Begriffe verwendet, mit denen sich die meisten Menschen identifizieren?” Wir könnten – und sollten – noch weitergehen: Warum verlangen so viele Institutionen überhaupt noch eine Geschlechtsangabe?Weder für den Meldezettel, noch für die Universität oder für den Energievertrag spielt das tatsächlich irgendeine Rolle.

Schritt für Schritt zur eigenen Identität

Nachdem wir uns noch etwas zu essen bestellt haben, frage ich Arden nach seiner Mastektomie. Das ist eine Operation, bei der die Brustdrüsen vollständig entfernt werden. Der Eingriff ist durch die Anwendung bei Brustkrebspatient:innen gut erprobt, nun wird er immer häufiger auch als geschlechtsanpassende Maßnahme eingesetzt.

„Als ich mir eingestanden habe, dass ich mich als non-binär identifiziere, war ich mir sicher, dass ich keine Hormone nehmen oder eine OP machen möchte“, erzählt Arden weiter. „Aber dann ging alles ganz schnell.“

Vor ungefähr einem halben Jahr hat sich Arden einen sogenannten Binder zugelegt. Zuerst hat er das Kleidungsstück, das die Brust kaschiert, kaum verwendet. Doch als er angefangen hat, den Binder regelmäßig zu tragen, war es Arden bald nicht mehr möglich, ohne ihn das Haus zu verlassen. “Da ein Binder allerdings die Lungen und Rippen belastet, darf man ihn nicht länger als sechs Stunden am Tag tragen”, erzählt er.

Arden freut sich darauf, sich endlich wohl zu fühlen 

„Es ist nicht nur körperlich belastend, sondern auch planungsaufwendig. Wenn ich am Vormittag an der Uni bin und später noch Schauspielunterricht habe, muss ich dazwischen immer nach Hause fahren, um den Binder eine Zeit lang ablegen zu können.” Nun hat sich Arden für eine Mastektomie entschieden und freut sich darauf, sich in seiner eigenen Haut endlich wieder wohl zu fühlen.

Arden durchläuft bereits seit einigen Monaten den bürokratisch komplizierten Prozess, der so einer Operation vorausgeht. „Wenn du eine Mastektomie über die Krankenkassa machen willst, brauchst du erstmal drei Gutachten – ein psychologisches, ein psychiatrisches und ein psychotherapeutisches.“

Bürokratisches Labyrinth

Diese drei Befunde sollen sicherstellen, dass man den Eingriff wirklich möchte – beziehungsweise braucht – und mental in der Verfassung ist, eine derartige Entscheidung zu treffen.

Mit diesen drei Dokumenten geht die Person dann in eine Klinik oder in ein Krankenhaus zur plastischen Chirurgie. Dort wird ein weiterer ärztlicher Befund ausgestellt. Diese vier Gutachten müssen in Folge zur Krankenkasse geschickt werden, die entscheidet, ob die Kosten für den Eingriff übernommen werden.

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Arden empfiehlt für diesen Prozess die Datenbank „queermed“, auf der queerfreundliche private und Kassenärzt:innen und -therapeut:innen zu finden sind. „Ich habe sehr viele Tage damit verbracht, Menschen anzurufen und ihnen auf die Mailbox zu reden, um noch einen Platz zu bekommen.“ Jetzt ist Arden schon fast am Ende des langwierigen Prozesses.

Nur noch ein letzter Termin bei der Krankenkasse erwartet ihn, dann sollte Arden Bescheid wissen, ob die Kosten übernommen werden. Falls die Kasse seine Anfrage ablehnen sollte, müsste er die ganze Operation und auch den Aufenthalt im Krankenhaus selbst bezahlen.

Unangenehme Begegnungen

Sollte die Krankenkasse ihm eine Zusage erteilen, muss sich Arden nach der Entscheidung für eine Klinik auf eine Wartezeit von mindestens einem Jahr bis zum Operationstermin einstellen. Er war schon in Wiener Neustadt sowie in zwei Kliniken in Wien, Ottakring und Landstraße. 

„Die Landstraße hat zwar den besten Ruf, aber das Erstgespräch dort war schrecklich”, sagt Arden. “Die Person, mit der ich geredet habe, war unhöflich und hat mir ein wahnsinnig unangenehmes Gefühl gegeben.“ Noch dazu sei ihm erzählt worden, dass nur ein:e Besucher:in pro Woche im Krankenhaus erlaubt sei. Auf der Website der Klinik wird das nicht so kommuniziert. ”Ich möchte bei diesem Prozess aber wirklich nicht so gern alleine sein”, sagt Arden.

Courage!

„Ich wäre in diesem Prozess nie so weit gekommen, wenn ich nicht Menschen um mich hätte, die mich in allen Dingen unterstützen”, sagt Arden. Er verstünde zwar, warum der Prozess aufwendig gestaltet wäre, “aber er wirkt auch wahnsinnig abschreckend.”

Arden befürchtet: „Wenn man sein eigenes Wohlbefinden nicht an erste Stelle setzt und Menschen hat, die einen bestärken, kann ich mir vorstellen, dass man bald aufgibt.“ Eine Organisation, die Arden für alle Interessierten weiter empfiehlt – „auch wenn man nur irgendwie Zweifel über die eigene Geschlechtsidentität hat“ – ist die NGO „Courage“.

„Sie machen das, was eigentlich selbstverständlich sein sollte”, sagt er. „Courage“ stellt genderbezogene Informationen aller Art zur Verfügung und bietet umsonst Beratungstermine an. Unser Gespräch endet mit einem Appell von Arden an alle Menschen in ähnlichen Situationen:

Tipps und Tricks

“Nutzt alle Ressourcen, die euch zur Verfügung stehen! Fragt alles, was ihr wissen wollt – ihr habt das Recht, zu wissen, wie oft und wie erfolgreich Ärzt:innen Operationen bereits durchgeführt haben. Lasst euch von anderen Menschen helfen, wenn es möglich ist!

Und vor allem, bei jeglichem Zweifel über eure Gender-Identität: Lasst euch beraten, geht zur Therapie! Ihr seid an nichts gebunden und könnt immer eure Meinung ändern!“

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