Immer mehr Menschen fordern ein Verbot von AfD und FPÖ. Was bisherige Verbote gebracht haben. Und warum langfristig die extreme Rechte profitieren würde.

Hunderttausende Menschen gehen derzeit in Deutschland gegen Rechts auf die Straße. Vielen von ihnen fordern das Verbot der extrem rechten AfD. Auch in Österreich werden Stimmen laut, die über das Verbot der FPÖ diskutieren wollen. Es ist eine verständliche Reaktion auf die widerliche Propaganda der extremen Rechten.

Doch stellen wir uns dieses Szenario am Beispiel Deutschland konkret vor: Die AfD wird verboten. Das Parteivermögen wird eingezogen, alle Mandate der Partei im Bund, in Ländern und Gemeinden werden für ungültig erklärt. Was würde passieren?

  • Ein Kommentar von Michael Bonvalot

Innerhalb kürzester Zeit wären rechte Massen auf der Straße. Mit Sicherheit wären enorme zivile Unruhen die Folge. Dazu würde es enorme Solidarisierungseffekte geben, auch aus dem bürgerlichen Lager. Ein Teil der extremen Rechten könnte auch in den Terrorismus abgleiten.

Was wäre durch das Verbot eines Wahlantritts gewonnen?

Auf der anderen Seite der Waagschale, würden Befürworter:innen des Verbots einwenden: Die AfD könnte bei den kommenden Wahlen nicht mehr antreten. Ihr Siegeslauf wäre damit gebrochen. Aber ist das wirklich so?

Tatsächlich gibt es dafür keinerlei Beleg. Was real passieren würde: Es würde einfach eine andere Partei mit ähnlicher Ideologie gegründet. Oder es gäbe sogar mehrere, die jeweils regional kandidieren würden. Um zu sehen, wie so etwas funktioniert, reicht ein kurzer Blick in die Türkei.

Das Beispiel Türkei: Wie Parteienverbote umgangen werden können

Dort verbietet der rechte Staatsapparat regelmäßig links-kurdische Parteien. Die Folge: Die Bewegung tritt unter immer neuen Namen zur Wahl an. Vor den letzten Wahlen im Mai 2023 etwa drohte das Verbot der HDP, also der Hauptpartei der Bewegung. Flugs wurde eine neue Partei aus der Hinterhand geholt, die seit Dezember 2023 DEM heißt. Davor gab es die Partei auch bereits als HEDEP, YSP, HADEP, HEP und DEP. Nach jedem Verbot wird also schlicht der Name gewechselt – die Wähler:innen wissen schon, welche Abkürzung gerade am Stimmzettel steht.

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Daraus lässt sich auch für Deutschland und Österreich eine wichtige Lehre ziehen: Wenn es bestimmte ideologische Strömungen in der Bevölkerung gibt, können die nicht durch Verbote in Luft aufgelöst werden. Die jeweilige politische Strömung wird dann schon einen Weg finden, sich bei Wahlen zu präsentieren.

Wie AfD und FPÖ ein Parteienverbot umgehen könnten

So könnten Funktionär:innen der AfD beispielsweise die rechte Werteunion übernehmen, die jüngst ihre Parteigründung angekündigt hat. Oder sie gründen gänzlich neue Parteien. Oder sie gehen in die CDU, die CSU, die FDP oder die Freien Wähler und gründen dort starke Fraktionen. Oder übernehmen diese Parteien sogar.

In Österreich würde nach einem Verbot der FPÖ vermutlich entweder eine neue Partei entstehen. Oder die ÖVP würde endgültig zu einer weit rechten Sammelpartei nach dem Vorbild Ungarns. Genau das war ja auch der langfristige Plan der ÖVP ab der Übernahme durch Sebastian Kurz und seine Getreuen.

Damit hätte sich zwar die Parteienlandschaft verändert. Aber die politische Gesamtstimmung hätte sich nicht geändert. Tatsächlich wäre die Rechte mit einer geeinten Partei vermutlich sogar noch stärker, wie das Beispiel Ungarn zeigt.

Ein kurzfristiges Verbot könnte die extreme Rechte langfristig stärken

Kurzfristig wäre ein Parteienverbot natürlich ein Rückschlag für die Partei. Sie würde ihre Mandate, ihre Positionen und viel Geld aus der Parteienförderung verlieren. Mittelfristig könnte das alles aber wieder aufgebaut werden. Und mit dem Solidarisierungseffekt im Rücken würde die extreme Rechte an der Wahlurne vermutlich sogar wesentlich stärker zurückkommen.

Dazu kommt: Wer sagt, dass ein mögliches Parteienverbot rechtlich überhaupt durchgeht? In jedem Fall könnte sich die AfD während des gesamten Verbotsverfahrens als Märtyrerin präsentieren.

Die Namen sind austauschbar, die Inhalte bleiben gleich

Während eines Verbotsverfahrens könnte die AfD auch bereits die Strukturen für eine neue Partei vorbereiten, samt dem Verschieben von Parteivermögen in parteinahe Vereine. Falls das nicht ohnehin schon lange geschehen ist. Wir erinnern uns an den Ibiza-Auftritt von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, wo er die Möglichkeit von Spenden über parteinahe Vereine verraten hatte.

Bereits gewählte Abgeordnete könnten auch bereits während eines Verbotsverfahrens zur Sicherheit in eine neue Partei übergetreten. Vielleicht würde es sogar Funktionsverbote für einzelne Parteiführer:innen geben. Es kämen andere nach. In Österreich schien Haider als Führer unersetzbar. Dann kam Strache. Dann schien Strache als Führer unersetzbar. Jetzt ist es Kickl. Und wenn der weg ist, würde sich die nächste Figur finden. Es sind letztlich austauschbare Charaktermasken einer Ideologie.

Der gefährliche Märtyrer-Effekt

Schon jetzt stellen sich Parteien wie die AfD oder die FPÖ in ihrer Propaganda als angeblich einzige Kämpferinnen gegen den “woken” Staat dar. Das ist natürlich blanker Unsinn. Zum einen sind Staaten wie Deutschland und Österreich strukturell rassistisch aufgebaut, dazu braucht es keine extreme Rechte.

Und zum anderen sind gerade Rechtsaußen-Parteien eng mit Wirtschaft und Industrie vernetzt. Das ist natürlich kein Zufall: Wirtschaftspolitisch haben sie die gleichen Ziele. Und auch die Leugnung der Klimakrise durch die extreme Rechte hat oft wirtschaftliche Hintergründe. Die Auto-, Metall- und Chemieindustrie bedanken sich.

Was haben bisherige Verbote gebracht?

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In Österreich wurde 1988 die Neonazi-Partei NDP (Nationaldemokratischen Partei) verboten, eine Abspaltung der FPÖ mit dem Südtirol-Terroristen Norbert Burger an der Spitze – der übrigens so etwas wie der Ziehvater von Heinz-Christian Strache war. Genauer gesagt: Der NDP wurde 1988 die Rechtspersönlichkeit als politische Partei aberkannt. Was das verändert hat? Real genau gar nichts.

Zwei Jahre davor war in der FPÖ Jörg Haider an die Macht gekommen. Der Großteil der NDP-Kader hätte vermutlich früher oder später ohnehin zur FPÖ gewechselt. Und wer nicht zur FPÖ wollte, ging einfach zu einer anderen Neonazi-Gruppe.

Recht ähnlich sah es in Deutschland aus, als 1952 die Nazi-Partei “Sozialistische Reichspartei” verboten wurde. Es folgten die “Deutsche Reichspartei” und später die NPD, also die heute noch bestehende Nationaldemokratische Partei Deutschlands, die seit kurzem als “Die Heimat” auftritt. Die Partei konnte zwar verboten werden – die Personen wechselten einfach die Hülle.

Offene Nazi-Propaganda in Dortmund-Dorstfeld. Bild: Michael Bonvalot

Eine ähnliche Entwicklung gab es auch später nochmals: In den 1990er Jahren wurde in Deutschland mehrere Neonazi-Organisationen verboten, etwa die “Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei”, die “Nationalistische Front” oder die “Deutsche Alternative”. Die Folge: Die deutsche Neonazi-Szene organisierte sich danach vor allem in scheinbar nur lokal oder regional organisierten “Freien Kameradschaften”. Auch hier: Die Kader hatten einfach die Hülle gewechselt.

Mit Rassist:innen und Industrie “gegen Rechts”?

Extreme Rechte können dabei auch offensichtliche Widersprüche geschickt ausnutzen. Wenn alle großen Parteien und gesellschaftlichen Verbände als “Volksfront” gegen sie auftreten, können sie sich als angeblich einzige Kraft eines ominösen “Widerstands” darstellen.

Wenn etwa die deutsche Großindustrie in Inseraten gegen die extreme Rechte auftritt, ist das zweifellos ein Unterschied zur Weimarer Republik. Doch wie werden es die Beschäftigten in diesen Unternehmen finden, wenn ihre Gewerkschaften auf einmal gemeinsam mit den Unternehmen auftreten?

Was rechte Parteien dazu sagen werden, ist klar: “Seht her, die arbeiten in Wirklichkeit alle zusammen. Wir sind eure einzige Vertretung.” Es ist eine gefährliche Falle für die Gewerkschaftsbewegung. Dass real vor allem extrem rechte Parteien im Sinne der Industrie agieren, wird dabei untergehen.

Die Gefahr der fehlenden Glaubwürdigkeit

Dazu kommt: Je breiter eine Bewegung ist, desto dünner wird auch der Kitt. Wenn etwa konservative Parteien und Unternehmerverbände mit an Bord sind, wird es wohl kaum mehr soziale Forderungen geben. Alles wird sich auf die Losung “Gegen die AfD” konzentrieren. Das ist ein wenig dünn.

Die angeblichen Verbündeten könnten dabei auch durchaus hinterfragt werden. Ob es wirklich so glaubwürdig ist, mit Parteien “gegen Rechts” auf die Straße zu gehen, die selber für massenhafte Abschiebungen verantwortlich sind oder diese einfordern? Und ob die großen Industrieunternehmen ihren angeblichen Kampf “gegen Rechts” auch noch genauso vehement vertreten würden, wenn durch soziale Bewegungen ihre eigenen Profite nachhaltig bedroht wären?

Es darf hinterfragt werden. Immerhin hatten viele große deutsche Unternehmen (Daimler! Siemens!) überhaupt kein Problem dabei, mit der faschistischen Regierung in Chile oder dem rassistischen Apartheid-Regime in Südafrika zusammenzuarbeiten.

Die soziale Frage entscheidet!

Es ist absolut verständlich, dass Menschen derzeit nach Wegen suchen, wie die extreme Rechte gestoppt werden kann. Ein wesentlicher Schlüssel dazu ist jedenfalls die soziale Frage. Die AfD und die FPÖ sind Parteien der Reichen. Das ist der Programmpunkt, wo sie am weitesten von den tatsächlichen Wünschen ihrer Wähler:innen entfernt sind. Beim Rassismus dagegen passt kein Blatt Papier dazwischen.

Wahlkampf 2017: Die FPÖ auf der Seite der Reichen. Bild: Michael Bonvalot

Hier gibt es die Möglichkeit für einen Bruch. Damit ist an sich natürlich noch wenig gewonnen. Auch sozial enttäuschte Rassist:innen bleiben immer noch Rassist:innen. Doch was sich immer wieder zeigt: Wenn extrem rechte Parteien mit Forderungen nach niedrigeren Preisen, höheren Löhnen, besseren Arbeitsbedingungen oder Arbeitszeitverkürzung konfrontiert werden, ducken sie sich meist sehr schnell weg.

Diese Themen sind die Flanke, die ihnen wirklich weh tut. Und diese Themen würden für die große Mehrheit der Bevölkerung echte Verbesserungen bringen. Es wäre ein wichtiger Anfang.

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