Vier Tote und zahlreiche Verletzte. Briefbomben und der Anschlag von Oberwart. Das ist die Bilanz der faschistischen Anschläge im Österreich der 1990er Jahre. Ob Täter Franz Fuchs allein gehandelt hat? Daran gibt es bis heute erhebliche Zweifel.
Peter Sarközi, Josef Simon, Karl und Erwin Horvath werden am 4. Februar 1995 von einer Bombe zerfetzt. Sie wollten ein Schild entfernen mit der Aufschrift: “Roma zurück nach Indien”. Die rassistische Parole diente als Köder, um Menschen zu töten – das Schild mit der Bombe war beim Roma-Ghetto am Rand des burgenländischen Ortes Oberwart platziert worden.
Die vier Männer aus der Minderheit der Burgenland-Roma waren nicht zufällig unterwegs. In einem Bericht des ORF heißt es: “Sie patrouillieren wie so oft um ihre Wohnsiedlung, die Roma-Siedlung in Oberwart, für den Schutz und die Sicherheit ihrer Familien.” Offenbar war die Siedlung also bereits des Öfteren das Ziel rechter Angriffe. Die Bewohner:innen müssen den Selbstschutz organisieren.
Die Morde sind der brutale Höhepunkt einer faschistischen Anschlagsserie, die Österreich in der ersten Hälfte der 1990er Jahre prägt. Bei weiteren Anschlägen mit Briefbomben und einer Rohrbombe werden zahlreiche Menschen verletzt.
So explodiert nur zwei Tage nach den Morden von Oberwart bereits die nächste Bombe, diesmal im burgenländisch Stinatz/Stinjaki. Der Ort ist ein Zentrum der kroatischen Minderheit in Österreich, ein Mitarbeiter der Müllabfuhr wird schwer verletzt.
Die Polizei attackiert zuerst die Opfer
In einem Bekennerschreiben, das in einem Buswartehäuschen im Nachbarort Ollersdorf/Fratrovo Selo/Barátfalva gefunden wird, heißt es: „Clans der Schifkowits, Grandits, Stoisits, Resetarits und Janisch zurück nach Dalmatien …“ Gemeint sind damit offenbar Persönlichkeiten, die sich für Minderheiten einsetzen oder selbst Angehörige von Minderheiten sind: STS-Sänger Schiffkowitz, die Grün-Politikerinnen Marijana Grandits und Terezija Stoisits, der steirische Pfarrer Pfarrer Janisch sowie die Gebrüder Resetarits (Kabarettist Lukas, ORF-Journalist Peter sowie der inzwischen verstorbene Sänger Willi, vor allem bekannt als Ostbahn-Kurti). Das Bekennerschreiben schließt mit: „Friedrich II., der Streitbare, Herzog von Österreich Steiermark und Vier Burgenland.“
Erst nach diesem Anschlag ist offenbar auch für die Behörden geklärt, dass Oberwart ein rechter Anschlag war. Zuvor hatte die Polizei noch alle Wohnobjekte im Roma-Ghetto in Oberwart durchsucht, wie die Polizeiprotokolle zeigen. Während die Leichen der Ermordeten vermutlich noch nicht einmal kalt waren, durchsuchte die Polizei die Häuser ihrer Familie, ihrer Freund:innen und ihrer Nachbar:innen.
Ethnische Minderheiten und Antifaschist:innen im Visier
Die beiden Anschläge sind Teil einer ganzen Serie von Briefbomben und Bomben – insgesamt rund drei Jahre dauert der faschistische Terror in Österreich. Die erste Serie von Briefbomben startet im Dezember 1993, eine weitere wird im Oktober 1994 verschickt. 1995 folgen schließlich gleich drei Serien, eine letzte Briefbombe kommt Ende 1996. Parallel gibt es Bombenanschläge. Neben Oberwart und Stinatz auch auf die zweisprachige Volksschule in Klagenfurt. Am 24. August 1994, ein halbes Jahr vor Oberwart, explodiert eine Bombe vor der Schule. Bereits hier werden mehrere Menschen zum Teil schwer verletzt.
Angegriffen werden bei all diesen Anschlägen Menschen, die in der Öffentlichkeit mit antirassistischen Aussagen auffallen, Migrationshintergrund haben, mit Migrant:innen arbeiten oder ethnischen Minderheiten angehören. Dennoch will die Polizei den Anschlag in Oberwart zuerst nicht als rechten Terror wahrnehmen.
Wer sind die Täter:innen?
Zu den Attentaten bekennt sich eine “Salzburger Eidgenossenschaft – Bajuwarische Befreiungsarmee” (BBA). In ausführlichen Bekennerschreiben werden die Attentate politisch begründet. Die Bekennerschreiben zeigten dabei ein profundes – deutschnational geprägtes – historisches Wissen. Sie strotzen gleichzeitig vor Rassismus und Antisemitismus. Dazu ist die Feindschaft gegen die slowenische und kroatische Minderheit besonders augenscheinlich – sie manifestiert sich auch in mehreren Anschlagszielen. Manches deutet auf burschenschaftliche Kreise hin.
So ist in einem Bekennerschreiben vom Dezember 1993, das mutmaßlich von der BBA stammt, von “Knallfröschen zu unserem Krambambulicocktail” die Rede. Der Begriff “Krambambuli” wird als Begriff für ein alkoholisches Getränk unter deutschnationalen Verbindungsstudenten gern verwendet, doch außerhalb dieser Szene ist er kaum bekannt.

Franz Fuchs
Daneben tauchen in den Bekennerschreiben immer wieder Anspielungen auf vertrauliche Informationen aus dem polizeilichen Ermittlungsapparat auf. So berichten etwa die Oberösterreichischen Nachrichten, dass in einem der Schreiben Hinweise auf ein geheimes Gutachten des Salzburger Historikers Heinz Dopsch enthalten wären. Dopsch hätte es im März 1995 für die Briefbombensonderkommission erstellte.
Der Professor ist sich sicher: “Der Verfasser der Bekennerschreiben hat mein Gutachten zu Gesicht bekommen.” In späteren Schreiben habe dieser sogar auf jene Passagen des Gutachtens reagiert, in denen er zu Recht korrigiert wurde. Etwa durch die spätere Übernahme korrekter Fachausdrücke. Die Folgerung des Experten: “Es gab wohl direkte Verbindungen zwischen Innenministerium und den Hintermännern der Briefbomben.”
Kontakte zu Personen im Sicherheitsapparat?
Auch der damalige Innenminister Caspar Einem erklärt im Oktober 1995: “Es gibt Hinweise, dass die Täter Kenntnis von bestimmten Papieren haben, die es bei uns im Haus gibt.” Dazu gibt es bereits auf Basis der Bekennerschreiben Hinweise auf mehrere Täter:innen. So sagt etwa der Sprachwissenschaftler Günter Lipold nach Analyse der BBA-Bekennerbriefe, dass zumindest drei Personen die BBA-Briefe verfasst hätten.
In der ersten Ermittlungsphase gehen die Behörden diesen Hinweisen auch nach. Im März 1995 beschlagnahmt die Staatspolizei sogar die gesamte Abonnent:innenkartei der Aula, also der burschenschaftlichen geprägten Zeitschrift der FPÖ-nahen Akademikerverbände. Es gibt auf Basis der Bekenner:innenschreiben Hinweise, dass der oder die Autor:innen der Schreiben die Aula lesen würden.
Bald werden auch Personen aus der neonazistischen Gruppe “Volkstreue Außerparlamentarische Opposition” (VAPO) rund um Gottfried Küssel verhaftet. Die VAPO ist ebenfalls eng mit verbindungsstudentischen Kreisen verwoben. Auch Führer Küssel selbst – der zu diesem Zeitpunkt bereits wegen Wiederbetätigung im Gefängnis saß – war Mitglied einer Verbindung, der Wiener Akademischen Turnerschaft Danubo-Markomannia.
Verhaftungen im Burschenschafter-Nazi-Milieu
Unter den Verhafteten ist etwa der Steirer Franz Radl junior. Der VAPO-Mann ist einer der zentralen burschenschaftlichen Kader des Landes. Als damaliges Mitglied der Wiener Teutonia – einer der wichtigsten Burschenschaften im deutschsprachigen Raum – wurde er sogar Sprecher des Wiener Korporationsrings (WKR), des Dachverbands der deutschnationalen Studentenverbindungen in Wien. Nach der Verhaftung werden Radl und sein Kamerad Peter B. dann auch vor Gericht gestellt.
Beim Prozess im Oktober 1995 werden Radl und B. dann allerdings vom Vorwurf der Beteiligung an den Anschlägen freigesprochen. Es gibt zwar bestimmte Indizien, doch ingesamt lassen sich keinerlei Belege für eine direkte Beteiligung finden. Radl wird gleichzeitig zu drei Jahren Haft wegen NS-Wiederbetätigung verurteilt, B. sogar zu fünf Jahren.
Bis heute können Radl und B. als wichtige Kader der Neonazi-Szene gelten. Beide stehen auch danach wiederholt wegen einschlägiger Delikte vor Gericht und werden verurteilt.
Update: Im Dezember 2020 werden Peter B. und mehrere andere extreme Rechte im Zusammenhang mit einem riesigen Waffenfund festgenommen. Die Nazis hatten insgesamt 76 voll- oder halbautomatische Waffen gehortet, dazu Pistolen, Revolver, Handgranaten, Sprengstoff und bis zu 100.000 Schuss Munition. Die Waffen sollen für den Aufbau von Nazi-Milizen in Deutschland bestimmt gewesen sein. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Die Bekennerschreiben versuchen während des Prozesses immer wieder, Radl und B. zu entlasten. Erwähnt werden in Briefen auch weitere VAPO-Kader, die vor Gericht stehen, etwa Gottfried Küssel und Hans Jörg S. junior. Als Radl und B. dann zu insgesamt acht Jahren verurteilt werden (Radl drei, B. fünf), kündigt die BBA in einem Schreiben an das Nachrichtenmagazin profil weitere Anschläge an.
Die Verurteilungen würden die BBA zu “weiteren 8 Briefbomben und 0,8 Staatsbegräbnissen” verpflichten. Die Bekennerschreiben sind im Original im Buch “Franz Fuchs – Doch kein Einzeltäter? des damaligen ORF-Redakteur Hans Christian Scheid abgedruckt, das 2001 erschienen ist.
Fuchs wird verhaftet
Nach dem missglückten Prozess gelingt den Behörden erst am 1. Oktober 1997 eine weitere Verhaftung – allerdings aus purem Zufall: Bei einer Verkehrskontrolle wird der Steirer Franz Fuchs aufgehalten. Der Mann aus der südsteirischen Ortschaft Gralla zündet dabei eine Rohrbombe, weil er glaubt, er wäre enttarnt worden.
Nach seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft begeht Fuchs am 26. Februar 2000 in seiner Zelle Selbstmord. Beim Prozess hatte er Parolen wie “Es lebe die deutsche Volksgruppe” gebrüllt. Offiziell ist Fuchs ein Einzeltäter, der Fall damit abgeschlossen. Medial wird Fuchs pathologisiert, die FPÖ versucht gar, ihn als Linken darzustellen.
“Mundtot gemacht”
Doch bis heute gibt es zahlreiche berechtigte Zweifel, ob Fuchs tatsächlich ein Einzeltäter war. Es gibt zahlreiche Gutachten und Aussagen von Zeug:innen, die dagegen sprechen. So soll etwa die Bombe in Oberwart laut Zeugenaussagen von drei Personen deponiert worden sein.
Auch der Historiker Herwig Wolfram, emeritierter Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung und ehemaliger Gutachter im Fall BBA, ärgert sich: “Irgendwann hat man uns ja alle für verrückt erklärt, weil wir nicht an die Einzeltäterthese glauben wollten. Wir wurden mundtot gemacht.” Der Ex-Briefbomben-Sonderermittler Rudolf Huber nennt in einer 2009 öffentlich gewordenen Anzeige sogar Namen.
Der bereits 1973 wegen Mordes verurteilten Schriftsteller Otto Rudolf Braun sowie der Techniker Walter H. seien laut ihm weitere Täter gewesen. Braun war auch in der später verbotenen Neonazi-Partei NDP aktiv gewesen und soll enge burschenschaftliche Verbindungen gehabt haben. Beide Männer sind allerdings inzwischen verstorben.
Indizien für weitere Verdächtige
Die erste Bombenserie, so Ex-Ermittler Huber, habe genau 20 Jahre nach der Verurteilung Brauns begonnen. Der einschlägige Rechte Braun, so der zentrale Vorwurf Hubers, den er auf 41 Seiten mit einer peniblen Indizienkette ausführt, “bringt sämtliche ideologischen, literarischen und universitären Voraussetzungen und Kenntnisse als Verfasser der Bekennerschreiben mit sich. Braun besaß persönliche oder schriftliche Kontakte oder Bezüge zu verschiedenen Empfängern der Briefbomben oder der fingierten Absender.
Auch die Anwesenheit im Umfeld verschiedener Tatorte ist erwiesen. Es besteht insgesamt eine derartige Fülle an markanten Übereinstimmungen und Parallelen zwischen den Hintergründen verschiedener Anschläge, sowie Inhalten von Bekennerschreiben und Otto Rudolf Braun und dessen Publikationen, wie sie nur auf das ideologische Bombenhirn und den Verfasser zutreffen können”.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat Huber und den “Schriftsteller und Studenten Braun” im Oktober 2008 einvernommen. Weitere Ermittlungen wurden nicht angeordnet, nicht einmal die Opfer wurden informiert oder zu Braun befragt, wie vom Falter veröffentliche Teile der Fall-Akte zeigen.
Huber behauptete in den Verhören, so der Falter damals, der Verdächtige Braun hätte sich in einem Dilemma befunden: “Ich habe den Eindruck, dass er sich outen möchte. Jedoch dass er dies erst dann wirklich tun will, wenn er nicht mehr hafttauglich ist. Bis dahin so glaube ich, bin ich (Huber) der einzige Strohhalm, von dem er sich erhofft, dass eine von ihm bekundete Täterschaft bekannt wird.”
Die Antwort von Braun laut Falter: Die Vorwürfe Hubers seien ein “Kaas”. Huber sei ein “Narr”, der ihm 3000 Euro geboten habe, wenn er ein Geständnis ablege. Doch es stimme, dass er sich immer wieder mit ihm treffe, um über den Fall zu reden.
Das Täterprofil traf “eher auf mich” zu, sagt Braun selbst
Nach einem dreistündigen Falter-Interview hätte Braun sogar gesagt: “Ich würde mich gerne mit dem Kriminalpsychologen Thomas Müller unterhalten. Denn sein Täterprofil war falsch. Es traf nicht auf Fuchs zu, sondern eher auf mich.” Fest stünde ebenfalls, dass Braun Sonderermittler Huber bei den Treffen Fachbücher zur Briefbombencausa überreichte und verblüffende Hinweise zu den fingierten Absendern der Briefbomben gab.
Zwei Decknamen der BBA geben ebenfalls zu denken: „Herzog Oadilo von Bayern“ und „Norbert Urban“. Oadilo, das ist altdeutsch für Otto, so Huber. Otto Braun habe nach seiner Entlassung in Bayern gelebt. Und „Urban“ ist ein Anagramm des Namens Braun. In einem Bekennerschreiben der BBA heißt es: „Bezüglich der Auswahl des fingierten Familiennamens URBAN fühlt sich der Kampftrupp überführt.“ Auch bei weiteren Absendernamen und Opfern gibt es Indizien, die zu Braun führen.
So pflegte Braun, wie er selbst sagt, Kontakte zum späteren Bombenopfer Lotte Ingrisch. Er wollte Texte der Schriftstellerin publizieren, doch sie wollte dafür Geld. Kurz nach dem Treffen wird eine Briefbombe an Ingrisch aufgegeben. Lotte Ingrisch wird zu Otto Rudolf Braun nie befragt, wie sie dem Falter erzählt. (Die gesamte Recherche des Falters wurde hier veröffentlicht, der Artikel steht hinter einer Paywall.)
“Darf ich dir vorstellen, Ingenieur Franz Fuchs aus Gralla, Südsteiermark”
Auch der Wiener Schauspieler Alexander Waechter erzählt von einer brisanten Begegnung. In einem Wiener Wirtshaus hätte er einen berüchtigten Neonazi aus seinem Heimatdorf im Weinviertel erkannt. “Der Neonazi”, so erinnert sich Waechter gegenüber dem Falter, “begrüßte mich und macht mich mit seinem Tischnachbarn bekannt: ,Darf ich dir vorstellen, Ingenieur Franz Fuchs aus Gralla, Südsteiermark.'” Ein gepflegter, höflicher Herr sei dieser Herr Fuchs gewesen.
“Ich hab’ mich noch geärgert, daß ich als geborener Steirer die Ortschaft Gralla nicht kenne”, sagt Alexander Waechter der Zeitschrift Format. Wenige Tage später trifft Waechter dasselbe Paar noch einmal, diesmal auf dem Dorfplatz von O. Diese Begegnung würde darauf hindeuten, dass Fuchs eben kein Einzeltäter war, sondern in Neonazi-Kreisen verkehrte.
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“Doppelgänger”
Der Schauspieler erzählt dem Falter ein weiteres brisantes Erlebnis: Er führte gerade seinen Dalmatiner in der kleinen Weinviertler Gemeinde O. spazieren, als er Verdächtiges wahrnimmt. Er beobachtete den erwähnten Neonazi dabei, wie er stapelweise Bücher ins Haus schleppte. “Wir bauen eine rechtsradikale Bibliothek auf!” sagte der Mann zu Waechter.
Der sah sich die Bücher genauer an – siehe da: Auf einem der Buchdeckel war das Wort “Bajuwarisch” zu lesen. Waechter provozierte den Neonazi: “Die Bajuwaren sind doch eigentlich Slawen!” Der Neonazi, so erinnert sich Waechter, fand die Bemerkung gar nicht lustig und verschwand im Haus. Nicht ohne einen provokanten Abschiedsgruß hervorzustoßen: “Wir wehren uns!”. Genau diese Parole findet sich als zentraler Slogan in den Bekennerschreiben der BBA.
Der damalige Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Michael Sika, hingegen behauptet, es könne sich um einen “Doppelgänger” von Franz Fuchs gehandelt haben. Warum allerdings der Doppelgänger als “Ingenieur Franz Fuchs aus Gralla, Südsteiermark” vorgestellt wird und woher dem Doppelgänger dieser Name überhaupt bekannt wäre – das bleibt wohl Sikas Geheimnis. Doch sogar Sika selbst sagt nach dem Prozess, er hielte “zumindest Teil-Mitwisser” für möglich.
Drohungen zu früh abgeschickt?
Dann gibt es eine weitere dubiose Begebenheit: Die damalige Grün-Abgeordnete Madeleine Petrovic bestätigt mir gegenüber die Darstellung eines Blogs, dass sie im Mai oder Juni 1993 Drohbriefe mit dem Briefkopf der BBA und dem Schlusssatz: “Wir wehren uns!” erhalten hätte. An diese Drohbriefe könne sie sich sehr gut erinnern, weil sie ein ausgezeichnetes Gedächtnis habe. Das Timing ist hier entscheidend.
Denn die erste Serie von Briefbomben wurde erst Monate später verschickt: Im Dezember desselben Jahres erreichten diese ihre Adressat:innen und verletzten drei Menschen schwer. Noch vor dieser ersten Serie sei der Aktenordner, der die Drohbriefe enthielt, dann durch einen angeblichen Mitarbeiter des Innenministeriums aus dem Parlament entwendet worden. Das Interesse an den Unterlagen sei möglicherweise deshalb hoch gewesen, weil sie unmittelbare Informationen zur Person des Attentäters enthielten.
Die Identität dieses vermeintlichen Mitarbeiters sei trotz Ermittlungen nicht geklärt worden. Petrovic schreibt mir: “Der Ordner ist nie wieder aufgetaucht und meine damalige Sekretärin hat leider den Namen des angeblichen Polizisten (in ziviler Kleidung) nicht aufgeschrieben”.
Viele offene Fragen
Viele Fragen sind weiter offen. Etwa die Frage, woher Einzeltäter Franz Fuchs aus der Südsteiermark Informationen über behördeninterne Vorgänge im Innenministerium haben sollte. Die BBA erlaubt sich etwa laut Falter in einer Provokation, einen bestimmten Gutachter zur Analyse ihrer Bomben zu empfehlen, “weil dieser schließlich wisse, wie man kostengünstig zu Ergebnissen komme”.
Tatsächlich soll einige Zeit, bevor die BBA dies schrieb, im Innenministerium der Gutachter als kostengünstiger gegenüber vergleichbaren Kollegen eingestuft worden sein. Dieses Detail war aber nirgends publiziert worden. Es gibt noch einige weitere ähnliche Begebenheiten. Woher wusste Franz Fuchs davon? Wie soll der Einzelgänger aus Gralla an diese Erkenntnisse gekommen sein? Und natürlich auch: Wer waren die mutmaßlichen Kontakte im Behördenapparat?
Dann die Bekennerschreiben: Einerseits die Analysen, dass mehrere Personen die Briefe geschrieben hätten. Andererseits die sprachlich Gewandtheit und das historische Spezialwissen, das auf intensive Beschäftigung mit historischer Literatur hindeutet. Bei Fuchs wird keine solche Literatur gefunden. Ebenfalls nicht gefunden wird ein Medienarchiv.
Wo sind Mediendokumentation, Labor und Schreibgeräte?
Doch die Bekennerschreiben zeigen eine laufende und sehr akribische Medienbeobachtung von Tages- und Wochenzeitungen. Journalist Scheid zitiert in seinem Buch über Fuchs auch aus der Strafanzeige. Laut der hätte Fuchs keine fallrelevanten Medien abonniert. Scheid bezieht sich auch auf polizeiliche Ermittlungen. In den Trafiken der Umgebung wäre ebenfalls nie aufgefallen, dass Fuchs fallrelevante Medien gekauft hätte.
Wo sind also die Zeitungen – und wie hat Fuchs sie erhalten? Scheid wird in seinem Buch zwar oft etwas sehr spekulativ, doch stellt viele relevante Fragen, wie an dieser Stelle zu sehen ist. Ebenfalls niemals gefunden werden die Schreibgeräte, auf denen die Schreiben verfasst wurden.
Und – möglicherweise die größte Lehrstelle: Auch das Labor, in dem Fuchs die Bomben gebaut haben soll, wird niemals gefunden. Schließlich stehen die Aussagen von Schauspieler Waechter (“Darf ich vorstellen, Franz Fuchs”) ebenso weiter im Raum wie die Aussagen von Zeug:innen, die in Oberwart drei Täter angaben.
Warum wurde nicht weiter ermittelt?
Viele dieser Fragen wurden während des Fuchs-Prozesses auch medial gestellt. Vor Gericht wurden sie allerdings leider nicht nur nicht beantwortet – sondern oft nicht einmal zugelassen. Scheid kritisiert den fallführenden Richter dafür scharf. Dieser hätte zahlreiche Anträge von Gutachtern nicht zugelassen.
Vielleicht hätten sich all diese Fragen aufklären lassen, wenn weiter ermittelt worden wäre. Vielleicht wäre dann auch klar geworden, dass Fuchs tatsächlich allein gehandelt hat. Das Problem: Wir wissen es nicht. Und es gibt mindestens erhebliche Indizien, die an der Einzeltäter:innen-These zweifeln lassen.
Politisch war Fuchs jedenfalls nicht allein
Ob es tatsächlich weitere (lebende oder tote) Mittäter:innen gibt, wissen wir aufgrund mangelnder Ermittlungen nicht. Ebenso unklar ist, ob und welches Wissen es in burschenschaftlichen und neonazistischen Kreisen zu diesem Fall gibt. Doch wir sind es den ermordeten und verletzten Menschen schuldig, immer wieder an die offenen Fragen zu erinnern.
Die Attentate der BBA fallen in die Zeit des Aufstiegs der FPÖ unter Jörg Haider. Die Partei überschwemmte mit rassistischen Parolen das Land, die sich im Kern kaum von den Thesen der BBA unterschieden.
Die Kronenzeitung veröffentlichte Artikel, die ebenfalls oft nur wenig Unterschiede zu Thesen der BBA aufwiesen. Und schließlich ging auch die Sozialdemokratie auf scharfen Rechtskurs – nicht ohne Grund konnte Haider den damaligen SPÖ-Innenminister Franz Löschnak als seinen “besten Mann in der Regierung” bezeichnen.
Die BBA hatte sich auch auf die Türkenkriege bezogen – die ersten BBA-Anschläge wurden von einer “Kampfeinheit Ernst Rüdiger von Starhemberg” ausgeführt, benannt nach dem österreichischen Türkenkrieger des 17. Jahrhundert. Heute sind die Bezüge auf die Türkenkriege in der extremen Rechten weit verbreitet, unter anderem bei der neofaschistischen Gruppe Identitäre.
Fuchs selbst stammt aus dem steirischen Grenzland-Milieu, einer traditionellen Hochburg deutschnationaler Kräfte. Die slowenische Minderheit in der Steiermark wird dagegen bis heute unterdrückt, sie ist kaum anerkannt und soll nicht sichtbar werden. In diesem Milieu hat sich Fuchs politisiert. Auch, wenn Fuchs also tatsächlich ein Einzeltäter gewesen sein sollte: Politisch war – und ist – er sicherlich nicht alleine.
- Dieser Artikel ist erstmal am 4. Februar 2020 erschienen und wurde im März 2023 umfassend erweitert.
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