Juraj und Matúš wurden ermordet, weil sie vor einer LGBTI+-Bar saßen. Ein Bericht aus Bratislava.

  • Text: Michael Bonvalot. Bilder: Marie E. Mark

“Wie viele Tote müssen noch folgen”, ruft die Rednerin von der Bühne empört. Tausende Menschen stehen am Freitagabend vor der Bühne am zentralen Námestie SNP-Platz in der Innenstadt von Bratislava, hören zu und applaudieren zustimmend. Die Gesichter der Menschen sind ernst, traurig und wütend.

Sie alle sind zur Gedenkkundgebung für Juraj und Matúš gekommen. Die beiden jungen Männer waren am Mittwoch bei einem faschistischen Terroranschlag ermordet worden. Zahlreiche Initiativen hatten deshalb am Freitag zur Trauerkundgebung aufgerufen.

Wie viele Menschen sich am Námestie SNP-Platz versammeln, ist schwer zu sagen, der Platz ist dicht gefüllt. Laut dem Nachtbürgermeister von Bratislava sind 12.000 bis 15.000 Menschen gekommen. Immer wieder setzt Regen sein, doch die Menschen bleiben. Fahnen mit dem Regenbogen und Antifa-Fahnen wehen über der Menge. Zwischen den Reden traurige Musik.

Der 19-jährige Täter hat die beiden jungen Männer offenbar wahllos erschossen. Das einzige “Verbrechen” von Juraj und Matúš in den Augen des Mörders: Sie saßen vor der bekannten LGBTI-Bar Tepláren am Fuß des Burgbergs in der Altstadt von Bratislava. LGBTI, das steht für Lesbisch, Schwul (Gay), Bisexuell, Transsexuell oder Intersexuell. Vor der Tepláren-Bar beginnt auch der Gedenkmarsch für die beiden Toten am Freitag. Viele Menschen legen Kerzen und Blumen auf die Straße vor der Bar.

“Es war eine Hinrichtung”

Barbesitzer Roman Samotný berichtet bei einer Pressekonferenz am Donnerstag, dass Juraj und Matúš einfach nur vor der Bar auf einer Bank saßen und Limonade tranken. “Es war eine aufwendige Hinrichtung”, zitiert aktuality.sk den Barbesitzer. Der Täter hätte sogar rund 40 Minuten vor der Bar gewartet.

Dann feuerte er acht Schüsse in Richtung einer Gruppe junger Menschen, die zu diesem Zeitpunkt vor der Bar saßen. Juraj und Matúš sind gestorben, eine weitere Frau wurde verletzt. Samotný beschreibt alle drei als nette Menschen: Matúš begann im September im Unternehmen zu arbeiten und studierte, Juraj arbeitete in einem Geschäft.

Der Täter, Juraj K., ist inzwischen tot aufgefunden worden. Nach dem Mord ging er nach slowakischen Medienberichten zu seinen Eltern, wo er einen Abschiedsbrief schrieb. Er hatte das Haus bereits mit der Waffe seines Vaters verlassen, eines Politikers der extrem rechten Partei Vlasť (Heimat).

Ein faschistisches Manifest

Der politische Hintergrund des Anschlags ist eindeutig: Auf dem mutmaßlichen Profil des Täters wurde vor der Tat ein politisches Pamphlet mit 65 Seiten veröffentlicht. Der Text ist eine Sammlung von Anti-LGBTI-Parolen und antisemitischen Tiraden. Dazu Frauenfeindlichkeit, Rassismus und Anti-Impf-Propaganda, berichtet belltower.news. Der Täter aus Bratislava beginnt mit einer dreimaligen Wiederholung von “Es sind die Juden”, um dann mit der Drohung fortzufahren “Sie haben alle Namen und Adressen”.

Der Täter behauptete auch, dass “das größte Problem hauptsächlich die Juden” seien und der einzige Weg, diese imaginäre Herrschaft der Juden zu beenden, sei, sie zu töten. Es gibt eine Seite zum Holocaust. Sie ist fast leer, bis auf den Satz: “Der Holocaust. Er ist nie passiert. Aber falls er passiert wäre, hätten die Juden es verdient. Schade, dass der Job nicht zu Ende gemacht wurde.”

Dazu bezieht er sich laut verschiedenen slowakischen Medien stark auf die US-amerikanische Rechte und outet sich als Fan von Donald Trump. Auf dem mutmaßlichen Twitter-Account des Täters wurden etwa ein Bild von Adolf Hitler oder das faschistische Symbol “Schwarze Sonne” veröffentlicht. Auf einem Foto zeigt er den faschistischen White-Power-Gruß.

Laut dem polnischen Journalisten Cezary Paprzycki hätte der Täter auch einen Anschlag auf eine jüdische Einrichtung geplant. Der konservative slowakische Ministerpräsident Eduard Heger sollte ebenfalls zum Ziel werden. Das sei aber nicht erfolgreich gewesen, hätte der Täter laut slowakischen Medien nach der Tat online veröffentlicht.

Andere Anschläge als Vorbild

Das Manifest ähnelt im Aufbau ähnlichen Texten faschistischer Attentäter. Auch mit seiner Tat hat er sich offenbar auf vorherige Anschläge bezogen. Laut CT24 erwähnte er in seinem Manifest den Angriff des Faschisten Brenton T. in der neuseeländischen Stadt Christchurch gegen eine Moschee. 51 Menschen starben bei diesem Massaker. Auch T. hatte damals ein Manifest veröffentlicht.

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Ein weiteres Vorbild des Täters von Bratislava war laut dem Manifest Payton G., der im Mai 2022 in einem Einkaufszentrum in der US-amerikanischen Stadt Buffalo zehn Menschen mit faschistischer Motivation ermordet hatte. Der Täter von Bratislava nennt diese Mörder “Heilige”.

Weitverbreitete Homophobie

Den Attentäter als Einzeltäter abzutun, würde viel zu kurz greifen. Er mag zwar allein gehandelt haben – wobei noch untersucht werden muss, ob es Mittäter:innen oder Mitwisser:innen gab. Doch es gibt gesellschaftliche Wurzeln. So haben laut aktuality.sk in einer Umfrage in der Slowakei 2019 etwa 60 Prozent der Befragten angegeben, dass LGBTI-Personen nicht die gleichen Rechte haben sollten.

In der Slowakei gibt es auch keine Möglichkeit für eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Auf die Frage, ob die Regierung nun Forderungen nach einer Verbesserung des Status von Mitgliedern der LGBTI-Community nachkommen würde, wollte der konservative Ministerpräsident Heger nicht antworten, so CT 24. Er sei nicht für schnelle Lösungen. Und erst vergangene Woche wurde laut CT 24 im slowakischen Abgeordnetenhaus ein Gesetzesentwurf eingebracht, der das Zeigen von Regenbogenfarben an öffentlichen Gebäuden verboten hätte.

Die slowakische Polizei hat sich bei der gestrigen Kundgebung über Facebook zu Wort gemeldet und erklärt, es gäbe Null-Toleranz für jede Form von Hass, Gewalt oder Mobbing. Die Polizei stünde zu den Werten von Freiheit und Toleranz. Doch Taten sprechen lauter als Worte: Zwei mutmaßliche Zivil-Polizisten trugen sogar auf der Gedenkkundgebung für Juraj und Matúš Kleidung einschlägiger extrem rechter Marken.

Doch die tausenden, vor allem jungen Menschen, die am Freitag zur Trauerkundgebung gekommen sind, zeigen, dass es auch eine andere Slowakei gibt: Weltoffen, fortschrittlich, antifaschistisch, links. Nach dem Ende der Gedenkkundgebung am Námestie SNP gehen viele Menschen nochmals zurück zur Tepláren-Bar. Einige junge Menschen sitzen in einer Nische, trinken und sprechen in einem Durcheinander von Slowakisch und Englisch über die Toten. Es scheint, sie waren Freund:innen der beiden Ermordeten.

Andere Menschen legen weitere Kerzen nieder, bringen Blumen. Der Besitzer der Tepláren-Bar sagt auf der Pressekonferenz laut aktuality.sk, dass er nicht glaubt, dass die Bar wieder öffnen würde. “Auch aus Respekt vor den Ermordeten ist es für uns undenkbar, dort weiter Spaß zu haben. Die Wunde ist so groß, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass wir so weitermachen”, sagt er mit Tränen in den Augen.

Es ist verständlich. Gleichzeitig zeigt es, wie rechter Terror funktioniert: Er soll Angst machen. Er soll Menschen zurückdrängen. Er soll Menschen öffentliche Räume nehmen. Und das dürfen wir niemals zulassen.

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