Im Ankunftszentrum für ukrainische Flüchtlinge in Wien helfen hunderte ehrenamtliche Freiwillige. So ist die Lage vor Ort. Das brauchen die Helfer*innen. Und das fordern sie von der Bundesregierung.

Vor zwei Wochen hatten all diese Menschen noch ein ganz normales Leben. Jetzt sind sie Kriegsflüchtlinge in einer ehemaligen Sporthalle in Wien. Warten darauf, wie es weitergeht.

Hunderte Menschen sitzen am Freitagabend auf den orangen Plastiksesseln in der Halle. Es ist voll hier. Kinder laufen herum, spielen – ein Stück Normalität im Wahnsinn des Krieges. Erwachsene sprechen miteinander, oft in gedämpftem Ton. Viele wirken abgekämpft, erschöpft.

Andere starren gebannt auf ihr Handy, ich sehe Chat-Verläufe. Manche schreiben wohl gerade mit ihren Lieben, die in der Ukraine zurückgeblieben sind. Oder zurückbleiben mussten.

Das Mögliche tun, nicht nur das Nötige

Es sind vor allem Frauen und Kinder, die jetzt in der früheren “Sport-und-Fun” Halle gleich neben dem Praterstadion warten. Die ukrainische Regierung erlaubt Männern zwischen 18 und 60 nicht mehr, das Land zu verlassen. Denjenigen Menschen, die flüchten durften, versuchen die Organisator*innen des Ankunftszentrums zu helfen.

Alle Bilder: Michael Bonvalot

“Wir wollen hier nicht das Nötige tun, sondern das Mögliche”, sagt Nina Andresen. Die 37-jährige ist eine der Koordinatorinnen von Train of Hope. Die NGO, die 2015 bei der Ankunft von Flüchtlingen am Wiener Hauptbahnhof entstanden ist, organisiert derzeit das Ankunftszentrum in der Wiener Leopoldstadt. Beruflich arbeitet Andresen im Corona-Krisenmanagement.

“Alle Helfer*innen von Train of Hope, die hier arbeiten, sind Ehrenamtliche”, erzählt ihre Kollegin Manuela Ertl. Wie das geht? “Wir beide sind in unseren Betrieben in Zeitausgleich gegangen. So schaffen wir das irgendwie”, sagt Ertl. Beide erzählen, dass sie derzeit kaum mehr als vier Stunden schlafen würden. Während Manuela Ertl und ich noch vor dem Ankunftszentrum miteinander sprechen, bringen laufend Menschen neue Spenden vorbei.

“Die Hilfsbereitschaft ist enorm”

“Wo darf ich denn die Lebensmittel hinbringen?”, fragt eine Frau im mittleren Alter. Sie hat eine ganze Einkaufstasche mitgebracht, ganz oben sehe ich eine große Tafel Schokolade. Gleich danach kommt ein Mann mit einem Auto. Im Kofferraum hat er frische Kleidung. Ertl, im Zivilberuf Projektleiterin der Geflüchtetenunterkunft “House of Hope”, koordiniert routiniert.

“Die Hilfsbereitschaft ist enorm”, sagt die 41-jährige. “Die Zivilgesellschaft gibt hier mit den Ton an. Die Menschen organisieren sich selbst und helfen, das ist sehr wichtig.”

Ihre Kollegin Andresen ergänzt: “Allein gestern und heute waren vermutlich mehrere hundert Menschen mit Spenden da.” Alle würden nach ihren Möglichkeiten geben: “Gestern etwa war ein Mann da mit einem Paket Spaghetti und Backerbsen. Er hat sich entschuldigt, dass es so wenig ist, doch es war ihm wichtig, zu helfen. Niemand soll über die eigenen Grenzen gehen, es ist eine wunderschöne Geste.”

Viele Menschen verpacken ihre Spenden auch liebevoll, erzählt Andresen. “Und das macht auch etwas mit den Menschen, die die Spenden annehmen. Sie sehen, dass sie willkommen sind.”

Erstmal ankommen!

Die Halle im zweiten Bezirk ist ein Durchgangszentrum. Die geflüchteten Menschen sollen hier ankommen können, sich ausruhen, etwas essen, frische Kleidung bekommen. Danach werden sie mit Bussen in verschiedene Einrichtungen gebracht.

Der erste Schritt in die Halle ist eine COVID-Teststraße. Gleich danach gibt es einen Welcome-Desk. Hier erheben die Helfer*innen, wie viele Schlafplätze benötigt werden und ob es dringende medizinische Bedürfnisse gibt. “Beispielsweise gibt es Menschen mit Diabetes, da muss sofort geholfen werden”, erklärt Ertl.

Krapfen und Curry

In der Halle gibt es dann verschiedene Bereiche. Zahlreiche freiwillige Helfer*innen geben Essen aus. Ertl erzählt: “Die Grundversorgung kommt von der Stadt Wien, dazu gibt es zahlreiche Spenden von Einzelpersonen und Restaurants.” Neben der Grundversorgung mit Essen werden auch die Akutbetreuung, die Teststraße, die Reinigung sowie Teile der Logistik von der Stadt organisiert.

Gerade hat jemand Krapfen vorbeigebracht. Auch die Wiener Sikh-Community hilft den geflüchteten Menschen, wie auch schon 2015. Koordinatorin Ertl schwärmt über die langjährige Zusammenarbeit: “Die Leute sind wunderbar – und machen hervorragendes Curry! Uns ist enorm wichtig, dass es nicht einfach nur irgendetwas zu Essen gibt, sondern dass es auch schmeckt.”

Eltern mit Babies

Gleich dahinter gibt es einen abgetrennten Bereich für Eltern mit ganz kleinen Kindern. Dort gibt es einen Wickeltisch, die Möglichkeit, Fläschchen für die Babys zu machen und einen Platz, um in Ruhe zu stillen. “Wir versuchen, Eltern mit Babys sofort weiter zu verteilen, damit sie hier nicht lange warten müssen”, erklärt Koordinatorin Nina Andresen”

In einem weiteren großen Bereich gibt es dann Hilfsgüter. Vor allem Hygieneartikel und Kleidung werden hier ausgegeben. Es gibt auch einen riesigen Berg mit Windeln, der schnell kleiner wird.

Was wird gebraucht?

Auch Tierfutter gibt es hier, selbstverständlich haben die Menschen ihre Haustiere mitgenommen, wenn es irgendwie möglich war. “Es sind Hunde, Katzen, Hasen – gestern hatten wir sogar einen Kakadu”, erzählt Ertl – und zeigt mir ein Bild des Vogels.

Was benötigt wird? “Durchgehend brauchen wir Hygieneartikel sowie neue Unterwäsche und Socken für Frauen und Kinder.” Auch Transportboxen für Katzen wären wichtig. Was gerade gebraucht wird, wird regelmäßig auf der Facebook-Seite von Train of Hope veröffentlicht. Ertl ergänzt: “Und selbstverständlich Geld. Damit können wir genau das kaufen, was gerade gebraucht wird.”

Kein Kind ohne Kuscheltier

Und schließlich gibt es auch Spielbereiche für die Kinder. Einen betreuten Bereich für die ganz kleinen, einen weiteren für die etwas größeren. Und es sind sehr viele Kinder, die hier sind. “Unser Ziel ist, dass kein Kind ohne Kuscheltier von hier weiterfährt”, sagt Nina Andresen., Und noch einmal betont sie: “Nicht das Nötige tun, sondern das Mögliche.”

Alles wirkt sehr gut organisiert, überlegt und durchdacht. Wie viele Helfer*innen derzeit hier sind? “Vermutlich um die 40”, sagt Ertl. Doch die NGO möchte die Zahl der Helfer*innen vor Ort möglichst klein halten: “Je mehr Helfer*innen, desto weniger Platz für die Schutzsuchenden.”

Wie geht es jetzt weiter?

“Wir halten das hier noch eine Zeit lang durch, doch irgendwann werden wir Hauptamtliche brauchen”, sagt Ertl. Bisher hätten insgesamt rund 350 bis 400 ehrenamtliche Helfer*innen in der Ankunftshalle unterstützt.

Wer besonders gut helfen könnte? “Wir bräuchten einerseits Menschen mit Spezialisierungen, die beispielsweise im Back Office arbeiten können. Und dann Menschen, die über einen längeren Zeitraum mehr Zeit haben. Wir müssen Kontinuität einbringen, damit wir nicht ständig neu anlernen müssen.”

Während wir miteinander sprechen, geht immer wieder der Lautsprecher an. Die Abfahrt von Bussen wird durch gesagt. Ob es genug Wohnplätze für alle Menschen geben wird? “Wir hoffen, der Bund hat einen Plan. Sicher sind wir da leider nicht”, sagt Ertl. Es gibt auch rund 20 Notbetten im Ankunftszentrum. Bisher würde das ausreichen. Wie lange noch? Das kann sie nicht beantworten.

“Die Regierung hat keinen Plan”

Die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung sehen Ertl und Andresen teils sehr kritisch. “Die Regierung hat überhaupt nichts aus dem Jahr 2015 gelernt, sie hat keinen Plan”, sagt Nina Andresen. “Sie haben einzig gelernt, wie sie besser nach außen kommunizieren.” Andresen gibt ein Beispiel: “Der Bund behauptet, dass es zehntausende Plätze gibt. Wir wissen nicht, wo die sein sollen.”

Es würden einfach alle Wohnplätze, die eingemeldet wurden, als vorhandene Plätze veröffentlicht. “Aber da reden wir teilweise von Menschen, die zwei Schlafplätze auf einer Couch im Wohnzimmer zur Verfügung stellen”, sagt Ertl.

“Das kann für ein paar Tage eine große Hilfe sein. Aber das löst das Problem nicht.” Andresen kritisiert: “Da liegen Kinder vielleicht schon seit mehreren Tagen auf einer Isomatte im Wohnzimmer. Wer unterstützt diese Leute? Wo ist der dringend notwendige Masterplan?” Auch die Stadt Wien könnte mehr tun, sagt Ertl. Sie fürchtet, dass die Verantwortlichen nicht begriffen haben, wie viele Menschen flüchten werden müssen.

Die offene Asyl-Frage

Und noch ein Problem wird sich sehr schnell stellen: Die österreichische Bundesregierung hat beschlossen, dass alle Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, ab heute mit einem speziellen Status ausgestattet werden. Damit kommen sie in die sogenannte Grundversorgung. In der Vollversorgung sind das ab heute maximal 25 Euro, davor waren es 21.

Damit soll alles abgedeckt werden: Essen, Miete, Betriebskosten, Personal, Hygieneartikel. Die Menschen selbst bekommen gerade einmal 40 Euro Taschengeld für ein ganzes Monat. So leben schon bisher sehr viele andere geflüchtete Menschen in Österreich. Dass das viel zu wenig zum Leben ist, ist offensichtlich.

“Wer sich privat ein Quartier gesucht hat, bekam bisher überhaupt nur 215 Euro im Monat sowie 150 Euro Mietzuschuss für eine Einzelperson oder 300 Euro für einen Familienverband”, sagt Andresen. Selbst wenn auch diese Beiträge nun leicht erhöht werden sollten: Das kann sich nicht ausgehen.

“Österreich macht nur das Mindestmaß”

Österreich hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, geflüchtete Menschen aus der Ukraine mit anerkannten Flüchtlingen und österreichischen und EU-Staatsbürger*innen gleichzustellen. Damit hätten diese Menschen zumindest Anspruch auf die Mindestsicherung gehabt. Immer noch viel zu wenig, doch zumindest ein Anfang. “Einige andere Länder haben das so gehandhabt. Österreich macht nur das Mindestmaß”, kritisiert Ertl.

Und die Menschen aus der Ukraine könnten in diesem Status gefangen sein: “Die Menschen werden in der Grundversorgung eingefroren”, kritisiert Ertl. “Die geflüchteten Menschen dürften zwar Asyl beantragen, das Verfahren muss aber nicht geführt werden. Das ist eine Perversion der Idee.”

“Menschen menschlich begegnen”

Während wir miteinander sprechen, rollt auf einmal ein Ball zwischen meinen Beinen durch. Ein kleines Mädchen mit Zöpfen läuft hinterher. Sie wirkt so glücklich, wie es unter diesen Umständen möglich ist. Und vor der Tür kommen schon die nächsten Wiener*innen mit Spenden an.

Andresen ist sehr bestimmt: “Wir wollen und werden Menschen menschlich begegnen.” Es ist wunderschön, die Hilfsbereitschaft zu sehen, die es aus der Bevölkerung und von den vielen Helfer*innen gibt. Doch es ist furchtbar, dass sie notwendig ist. Und die Regierung wird sich dringend etwas überlegen müssen.

Mein Name ist Michael Bonvalot. Ich bin Herausgeber des stand.punkt und berichte hier laufend über die Situation der geflüchteten Menschen. Ich hätte eine Bitte an Dich: Findest Du diesen Artikel gut? Hier kannst Du den stand.punkt unterstützen!

Hast Du diesen Artikel lesenwert gefunden? Schick ihn jetzt weiter!