„Wie hat er ausgesehen? War er Schwarzafrikaner?“ So fragt ein Polizist in Wien ohne Anlass nach einem flüchtigen Täter. Die Polizei nennt das „wertfrei“ und will keinen Rassismus erkennen.
Es ist eine sehr unangenehme Situation. Eine U-Bahn-Station in Wien, es ist Mitte Februar 2025. Zwei Männer geraten in Streit, soweit ich erkenne, hat der eine den anderen versehentlich gestoßen. Absicht dürfte nicht im Spiel gewesen sein, der Mann wirkt betrunken. Doch der andere reagiert enorm aggressiv, stößt zu. Interventionen bringen kein Ergebnis.
Titelbild: Michael Bonvalot, Collage
Der wohl betrunkene Mann und ich steigen schließlich in den Lift zum Bahnsteig – doch als die Tür schon zugegangen ist, zeigt der Mann im Lift dem anderen noch eine unfreundliche Geste. Mein erster Gedanke: Scheiße. Und prompt sehe ich den aggressiven Typen Richtung Stiege nach oben loslaufen.
Ansatzlos schlägt er zu
Am Bahnsteig passiert dann genau das, was ich befürchtet hatte: Der Aggro-Typ schiebt sich durch die Menge und kommt schnell auf uns zu. Die Gefahr ist offensichtlich. Diesmal stelle ich mich dazwischen, versuche den Typen zu beruhigen und sage ihm, dass der andere wohl betrunken ist. Vergeblich.
Ansatzlos schlägt er an mir vorbei dem anderen Mann ins Gesicht. Der ist getroffen, fällt auf den Boden. Zuerst sehe ich natürlich, ob es dem getroffenen Mann gut geht – er scheint nicht verletzt. Und dann rufe ich sofort die polizeiliche Notrufnummer 133 an und melde den Vorfall.

Bild: Michael Bonvalot
Warum ich die Polizei anrufe, der ich grundsätzlich sehr kritisch gegenüberstehe? Ich halte es schlicht nicht für sinnvoll, wenn ein hochaggressiver Mann im öffentlichen Raum herumläuft und möglicherweise in Kürze die nächste Person niederschlägt. Und die Polizei ist in unserer Gesellschaft nun einmal die einzig verfügbare Institution, die das unterbinden könnte. Hier habe ich für Dich aufgeschrieben, welche Rechte Du im Umgang mit der Polizei hast!
Der Rückruf erfolgt über eine halbe Stunde später
Der Täter ist zu diesem Zeitpunkt noch in unmittelbarer Nähe des Tatorts. Und dann passiert erst mal ziemlich lange gar nichts. Erst 35 Minuten später ruft mich ein Polizist an: Die Polizei wäre nun eingetroffen. Ich bin zu dem Zeitpunkt schon längst nicht mehr vor Ort.
Per Telefon bittet mich der Polizist um eine Täterbeschreibung. Ob das nach über einer halben Stunde noch sehr viel bringt, sei dahingestellt. Doch ich kann den Mann gut beschreiben, ich habe ihn genau gesehen. Ich erinnere mich an seine Kleidung, seine Größe, seine Statur und die Form seines Gesichts. Doch den Polizisten interessiert vor allem etwas anderes.
„War er Schwarzafrikaner?“
Völlig aus dem Nichts fragt er mich: „Wie hat er ausgesehen? War er Schwarzafrikaner?“. Ich gebe den Satz aus dem Gedächtnis wieder, vielleicht waren es ein oder zwei Worte mehr – doch die Frage war eindeutig und wurde gestellt. Wie der Polizist auf diese Idee kommt, ist vollkommen unklar. Das sage ich ihm auch.
Sowohl der Täter als auch das Opfer waren weiß – und ich hatte keinen Grund angegeben, etwas anderes zu vermuten. Nun braucht die Polizei natürlich eine Täterbeschreibung. Doch diese Frage ist aus einer Vielzahl von Gründen so richtig problematisch.
So werden Vorurteile zementiert
Es gibt offensichtlich keine Erklärung und keine Rechtfertigung, warum der Beamte anlasslos „Schwarzafrikaner“ als Beispiel verwendet. Für viele Menschen, die bei der Polizei anrufen, ist das eine absolute Ausnahmesituation. Sie werden sich also meist sehr genau merken, was sie in diesem Gespräch gehört haben.
Und nun hören sie von einem Polizisten, dass dessen erste Vermutung bei einer möglichen Körperverletzung ein angeblicher „Schwarzafrikaner“ ist. Exakt so werden rassistische Vorurteile in der Bevölkerung verankert und verstärkt. Und dazu ist diese Frage auch noch richtig schlechte Polizeiarbeit.
Das ist nicht einmal gute Polizeiarbeit
Gute Polizeiarbeit wäre, offene Fragen zu stellen. Also: „Wie hat der Mann ausgesehen?“ Denn wenn Antworten vorgegeben werden, führt das in vielen Fällen zu „erwünschten“ Antworten: Menschen mögen es, „richtig“ zu antworten. Dieses Phänomen nennt sich Bestätigungsfehler („Confirmation Bias“). Wenn etwa gefragt wird, ob ein möglicher Täter eine rote Jacke hatte, kann es dazu führen, dass das bestätigt wird – obwohl es gar nicht stimmt.
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Davor warnen auch Max Hermanutz und Jochen Schröder von der Polizeihochschule Baden-Württemberg in ihrem „Leitfaden zur Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten“. Auch ihr Ratschlag lautet: „Es sollten soweit wie möglich offene Fragen gestellt werden.“ So würden „qualitativ verbesserte Aussagen generiert“. Und sogar auf der Seite des österreichischen Innenministeriums findet sich ein Artikel mit einer entsprechenden Warnung.
Die Autorinnen Mascha Körner und Theresa Lemme raten, bei Vernehmungen „offen zu bleiben“. Und sie schreiben explizit, dass das der „Vorbeugung eines möglichen Bestätigungsfehlers“ dienen würde. Der Artikel ist in der Zeitschrift der Sicherheitsakademie (SIAK) erschienen, also der Fortbildungseinrichtung der österreichischen Polizei. Hat sich offenbar polizeiintern noch nicht überall herumgesprochen.
Wie gefährlich solche Einstellungen von Polizist:innen sind
Das alles ist nicht nur eine theoretische Spielerei. Wenn Menschen wegen falscher Zeug:innenaussagen zu Verdächtigen werden, können sie damit Opfer von Polizeieinsätzen werden – und können dabei sogar verletzt oder im schlimmsten Fall getötet werden. Oder sie kommen unschuldig in Untersuchungshaft, vor Gericht und ins Gefängnis. Währenddessen können die tatsächlichen Täter:innen unerkannt flüchten.

Bild: Michael Bonvalot
Und schließlich stellen sich noch weitere Fragen: Was sagt es über die Einstellung von Polizist:innen aus, wenn sie ohne Anlass „Schwarzafrikaner“ als Täter vermuten? Wen könnten solche Polizist:innen im öffentlichen Raum besonders oft schikanös kontrollieren? Welche Menschen werden sie bei unbekannten Täter:innen zuerst als vermeintlich Verdächtige verfolgen? Und was sagen solche Vorfälle über die polizeiliche Ausbildung aus? Die Antworten sind offensichtlich.
Und wir wissen aus Erfahrung sehr genau, wohin Vorurteile von Polizist:innen führen können.
Ermittlungen bei den Opfern statt bei den Täter:innen
So konnte die Nazi-Terrorgruppe NSU in Deutschland zwischen 2000 und 2006 insgesamt neun Menschen aus rassistischen Gründen ermorden. Die Sonderkommissionen der Polizei hatten währenddessen Namen wie „Bosporus“ oder „Halbmond“, die Medien sprachen verächtlich von „Döner-Morden“ oder einer „Türken-Mafia“.
Ermittelt wurde unter den Familien und im Umfeld der Opfer des Naziterrors. Die tatsächlichen Nazi-Mörder:innen konnten währenddessen ungestört weiter töten. Besonders widerlich ging auch die österreichische Polizei nach dem Nazi-Mordanschlag 1995 auf Menschen aus der Roma-Minderheit vor.
Als die Polizei nach dem Bombenanschlag im burgenländischen Oberwart eintraf, durchsuchte sie erstmal die Häuser der Familien und Freund:innen der Opfer. Während die Leichen der vier getöteten Männer vermutlich noch nicht einmal kalt waren. Mehr dazu und über den österreichischen Nazi-Terror der 1990er-Jahre habe ich hier für euch aufgeschrieben.
Warum hat der Polizist nicht nach Deutschen gefragt?
Doch wie sieht es nun wirklich mit den „Schwarzafrikanern“ und der Kriminalität in Österreich aus? Aufschluss gibt hier der Sicherheitsbericht des österreichischen Innenministeriums. Der letzte aktuell verfügbare Bericht stammt aus dem Jahr 2022, dort lassen sich in der Tabelle B30 die tatsächlichen Zahlen finden.
Und was finden wir dort in der Tabelle über die Herkunftsländer von Täter:innen ohne österreichische Staatsbürger:innenschaft? Nigeria, das erste subsaharische Land auf der Liste, findet sich erst auf Rang 20. Gerade einmal 1,1 Prozent aller nicht-österreichischen Täter:innen stammen von dort.
Auf Platz 25 folgt Somalia (0,8 Prozent), auf Platz 49 Gambia mit heißen 0,1 Prozent. Alle subsaharischen Länder plus Dominikanische Republik machen in der Statistik gerade einmal 2,3 Prozent aus. Zum Vergleich: Allein aus Deutschland stammen inzwischen bereits 10 Prozent aller Täter:innen ohne österreichische Staatsbürger:innenschaft. Warum fragt der Polizist also nicht, ob der Täter Deutscher war? Es wäre offensichtlich wesentlich wahrscheinlicher.
Was die Polizei dazu sagt
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Bereits kurz nach dem Vorfall hatte ich mich an das „Referat Bürgerinformation“ der Landespolizeidirektion Wien gewendet. Zuerst habe ich die Situation geschildert und dann das Problem dargestellt: „Nun ist es selbstverständlich, dass der Beamte eine Beschreibung des Täters braucht (…) Allerdings gibt es offensichtlich keine Erklärung und Rechtfertigung, warum der Beamte anlasslos ‚Schwarzafrikaner‘ als Beispiel verwendet. Das Framing ist offensichtlich hoch problematisch und hinterlässt einen rassistischen Beigeschmack.“ Dazu habe ich um eine Stellungnahme ersucht.

Polizist:innen heißen in Wien „Kibara“ oder „Kieberer“. Bild: Michael Bonvalot
Und diese Stellungnahme ist nun getroffen. Das „Referat Bürgerinformation“ teilt schriftlich mit: Die Frage des Polizisten wäre „als wertfreie Erfragung betreffend eindeutiger Merkmale des Täters“ erfolgt. „Zur Eingrenzung einer Täterschaft bzw. zur Abklärung des Sachverhaltes“. Und: Das „Vorliegen eines rassistischen Motives konnte nicht festgestellt werden“.
Die offizielle Antwort der Polizei macht es noch schlimmer
Wie es allerdings „wertfrei“ sein kann, anlasslos eine bestimmte Hautfarbe abzufragen, erklärt die Polizei damit nicht. Ebenso fehlt eine Erklärung, wie die Behörde feststellen konnte, dass kein rassistisches Motiv vorliegt.
Doch wenn die Polizei kein Problem sehen will, werden sich vorurteilsbeladene Aussagen immer wieder wiederholen. Dazu wird sich schlechte Polizeiarbeit nicht verbessern, solange es an Einsicht und Bewusstsein mangelt. Und damit ist die offizielle Antwort der Polizei sogar noch problematischer als die ursprüngliche Amtshandlung.
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