Bau- und Immobilienkonzerne profitieren von der Wiener Stadtstraße gleich doppelt. Parallel zum Straßenbau werden riesige Logistikzentren errichtet – die noch viel mehr LKW-Verkehr bringen werden. 

  • Von Christian Bunke. Mitarbeit: Michael Bonvalot

Immer wieder kracht der Bagger in das liebevoll geschmückte Holzhäuschen, bis es völlig zerstört ist. Es ist der 5. April 2022. Das monatelang von Klima-Aktivist:innen besetzte Baustellengelände bei der Wiener Hirschstettner Straße wird von der Polizei geräumt. Hier soll jetzt eine autobahnartige Straße quer durch den 22. Bezirk, der Donaustadt, entstehen,die sogenannte Stadtstraße. Wem der Bagger gehört, ist leicht zu erkennen: Auf dem Fahrzeug prangen die Aufkleber des Baukonzerns STRABAG.

Schon als die Besetzung der Baustelle für die Stadtstraße im September 2021 begann, standen dort Bauzäune der STRABAG. Das ist bemerkenswert: Denn zu diesem Zeitpunkt war auf dem Vergabeportal der Stadt Wien offiziell noch nicht einmal die Vergabe für die Bauaufträge bekannt gegeben worden.

Offiziell wurde die Vergabe erst im Februar 2022 bekannt gegeben, wenige Tage nach der Räumung einer weiteren besetzten Baustelle. Auch bei dieser Baustelle neben der U2-Station Hausfeldstraße hatten Klimaaktivist:innen gegen den Bau der Stadtstraße protestiert. Bei der Hausfeldstraße war es dann ein Bagger des Baukonzerns PORR, der den Abriss der “Pyramide” und der weiteren Infrastruktur besorgte. 

Die große Holzpyramide war für die Besetzer:innen ein symbolträchtiger Ort, der in mühevoller Kleinarbeit aufgebaut worden war. Jetzt beförderte der Bagger der PORR die Überreste in einen gigantischen Abraumcontainer. Das Werk der Zerstörung hatte nur wenige Minuten gedauert. 

Zuschlag für das Baukartell

Dass gerade die Bagger der Baukonzerne STRABAG und PORR bei der Räumung der Klimacamps zum Einsatz kamen, ist kein Zufall: Denn es ist eine Bietergemeinschaft dieser beiden Konzerne, die den Zuschlag für den Bau der Stadtstraße bekommen hat. 

Diese autobahnartig ausgebaute Straße soll offiziell das neue Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern mit der A23, der Südosttangente verbinden, die quer durch Wien verläuft. Tatsächlich aber war die Stadtstraße immer als Verbindung zwischen der Außenringautobahn mit dem geplanten Lobautunnel und der A23 geplant – und hätte damit noch weit mehr Verkehr in die Stadt gezogen. 

Fast eine halbe Milliarde für die Straße ins Nichts

Mit dem vorläufigen Aus für den Lobautunnel, das am 1. Dezember 2021 verkündet wurde, wird die Stadtstraße aber nun zur völlig überdimensionierten Verbindungsstraße zwischen zwei Autobahnen, “die es so nicht mehr gibt”, wie Michael Schwendinger, Experte des Verkehrsclub Österreich (VCÖ), gegenüber der APA ausführt. Kosten soll die Stadtstraße insgesamt mehr als 450 Millionen Euro.

Container von PORR und STRABAG auf der Fläche des ehemals besetzten Camps in der Hausfeldstraße. Bild: Michael Bonvalot

Die beiden bereits vergebenen Baulose für STRABAG und PORR haben ein Volumen von insgesamt über 150 Millionen Euro. Das geht aus dem offiziellen Vergabeportal der Stadt Wien hervor, wo die Vergabe am 7. Februar 2022 veröffentlicht wurde.

STRABAG und PORR: Transnationales Baukapital

Die beiden Branchenriesen PORR und STRABAG haben eine lange Geschichte gemeinsamer Zusammenarbeit – und sind beide in Wien dick im Geschäft. So wird auch der U-Bahn-Ausbau für die neuen Streckenführungen der U2 und der U5 von einer Arbeitsgemeinschaft der beiden Konzerne durchgeführt. Auf der Seite der PORR wird das – gar nicht zurückhaltend – überschrieben mit: „Wenn zwei Große zu einer Einheit werden“.

Beide Konzerne sind berüchtigt: 2021 wurden PORR und STRABAG wegen Preisabsprachen und der Errichtung eines illegalen Baukartells zu riesigen Geldstrafen von 62,4 Millionen Euro beziehungsweise 45,4 Millionen Euro verurteilt. 

Hohe Kartellstrafen schaden nicht

Das sind die bislang höchsten jemals verfügten Kartellstrafen für österreichische Unternehmen. Die Auftragsvergaben für die Stadtstraße zeigen, dass es ihnen zumindest in Wien politisch nicht geschadet hat. 

Beide Unternehmen haben ihre Zentralen in Wien, sind inzwischen aber riesige, transnational aktive Baukonzerne mit Schwerpunkt in Mittel- und Osteuropa. So zählt die PORR neben Österreich auch Deutschland, Schweiz, Polen, Tschechien, Slowakei und Rumänien zu ihren „Heimmärkten“. Die STRABAG ist ähnlich aufgestellt, wobei es dort zusätzlich einen Focus auf Südosteuropa und Russland gibt.

Die Donaustadt, der 22. Gemeindebezirk Wiens, ist für beide Konzerne ein wichtiges Betätigungsfeld. Die STRABAG hat sogar ihre Firmenzentrale im Bezirk. In der Donau-City-Straße 9 steht – direkt neben der Donau – das Hochhaus des Konzerns auf dem Stadtentwicklungsgebiet Donauplatte.

Vom Autobahnbau zum Betongold

Beide Konzerne sind in der Donaustadt nicht nur am Bau der Stadtstraße beteiligt, sondern auch im Immobiliengeschäft tätig. Und genau in diesem Geschäft gibt es im Umfeld der Stadtstraße einiges zu verdienen.

So feierte erst am 17. März 2022 die zur STRABAG gehörende Baufirma Mischek in der Donaustadt Dachgleiche für 64 freifinanzierte Eigentumswohnungen Diese als „Gartenstädtchen“ beworbenen Wohnungen liegen direkt neben der S2 – und damit ganz in der Nähe der geplanten Stadtstraße. Eine Wohnung im „Gartenstädtchen“ kostet übrigens zwischen 220.000 und 690.000 Euro. 

Nur rund einen Kilometer weiter Richtung Kagran findet sich das nächste Stadtentwicklungsgebiet: „Am langen Felde“. Auch hier ist die STRABAG mit Mischek am Start. 

Kurze Wege in die Politik

Bei der Dachgleiche für das “Gartenstädtchen” war übrigens auch Omar Al-Rawi dabei. Er ist Betriebsratsvorsitzender bei der STRABAG und sitzt gleichzeitig für die SPÖ im Wiener Gemeinderat. Seit 2002 ist er dort durchgehend in den Ausschüssen für Verkehr und Stadtplanung – also direkt an der Quelle.

Bild: Michael Bonvalot

Al-Rawi verteidigt aus seiner öffentlichen Funktion heraus vehement die Stadtstraße und den Lobau-Tunnel – und damit nicht zuletzt die Interessen des Konzerns, bei dem er beschäftigt ist. Ein gutes Beispiel, wie weit das Netzwerk der STRABAG in die Stadtpolitik hineinreicht.

Die STRABAG zieht LKWs in die Seestadt 

Weil die STRABAG nicht kleckert, sondern klotzt, hat sie neben Mischek noch einen anderen Bauträger im Eigenbesitz – die STRABAG Real Estate GmbH. Diese hat kürzlich die europaweite Ausschreibung für ein neues Gewerbegebiet gewonnen: Die „Aspern Manufactory“ direkt in der Seestadt Aspern. 

Wie sehr die Strabag dieses Projekt auf Autos und LKWs ausrichtet, zeigen bereits die Projektunterlagen. Dort heißt es: “Die ‘aspern Manufactory’ besteht aus einem robusten, mehrgeschoßigen Vierkanter mit Ladehof und einer Sammel-Hochgarage, die mit 80 King-Size-Parkplätzen für Kleinlaster auch rund 220 PKWs Platz bieten und damit auch umliegende Gewerbeobjekte versorgen wird.” 

Die Seestadt als Parkplatz

80 Parkplätze für Kleinlaster, 220 PKW-Parkplätze, Versorgung weiterer Gewerbeobjekte mit Parkplätzen? Die Anrainer:innen der Seestadt werden sich über den zusätzlichen Verkehr vermutlich freuen. Als profitorientierter Baukonzern ist die STRABAG prinzipiell daran interessiert, dass so viele Straßen wie möglich gebaut werden. 

Doch hier agiert der Konzern doppelt: Er schafft durch weiteren Verkehr erst den Bedarf. Und baut sich dann mit der Stadtstraße seine eigenen LKW-Verkehrsanbindungen. Für den Bau bezahlt die Allgemeinheit.

Die Profiteure

Die Eigentümer von Bau- und Immobilienkonzernen profitieren damit doppelt: Sie bauen zuerst mit Steuergeldern neue Straßen. Und dann setzen sie ihre eigenen Immo- und Gewerbeprojekte in die neu entwickelten Stadtteile. Dabei ist es vermutlich kein Nachteil, gut über die Infrastruktur informiert zu sein, die gebaut werden soll.

Besetzter STRABAG-Bagger in Wien-Donaustadt. Bild: Michael Bonvalot

Exemplarisch für diese Doppelrolle steht Karl-Heinz Strauss, PORR-Miteigentümer und Vorstandsmitglied der PORR AG. Er sitzt gleichzeitig auch im Aufsichtsrat des Immobilienkonzerns UBM Development. 

Bis 2015 war die UBM offiziell Teil der PORR, dann wurde der Immokonzern von der Mutter losgelöst. Strauss agiert jedoch weiterhin als zentraler Aktionär bei beiden Unternehmen. Er gilt als einer der reichsten Männer Österreichs.

Haselsteiner und die NEOS-Connection

Das bekannteste Gesicht bei der STRABAG ist Milliardär Hans Peter Haselsteiner. Einst war er Nationalratsabgeordnete für das (Neo-)Liberale Forum, dann wurde er Hauptsponsor ihrer Nachfolgepartei NEOS. Damit hält er sich sogar eine eigene Partei.

Das ist nicht unbedeutend, denn die NEOS sind Teil der derzeitigen Wiener Stadtregierung, die so vehement Stadtstraße und Lobau-Autobahn durchsetzen wollen. Familienpatriarch Hans Peter Haselsteiner hat aktuell keine operative Funktion mehr im Konzern, doch die Familie hält weiterhin 28,3 Prozent der Aktien an der STRABAG. 

Der Oligarch im Hintergrund

Damit ist sie der zweitgrößte Aktionär nach der ÖVP-nahen UNIQA/Raiffeisen-Gruppe, die seit 2005 die Finanzierung der STRABAG sicherstellt. Diese Gruppe hält 29,5 Prozent der STRABAG-Anteile. Der dritte große Aktionär mit 27,8 Prozent ist derzeit politisch besonders umstritten: Die „Rasperia Trading Ltd“ des russischen Oligarchen Oleg Deripaska.

Haselsteiner, Rasperia und Raiffeisen haben ihre Interessen im Konzern bislang über einen sogenannten Syndikatsvertrag geregelt. Am 15. März 2022 kündigte die Familie Haselsteiner diesen Vertrag allerdings auf, Hintergrund waren drohende Sanktionen gegen Deripaska.

Haselsteiner kauft im 22. Bezirk einen riesigen Logistikpark

Seit Hans Peter Haselsteiner nicht mehr Vorstandsvorsitzender bei der STRABAG ist, scheint er nicht mehr richtig ausgelastet. Jedenfalls schießen seine wirtschaftlichen Nebenprojekte wie Pilze aus dem Boden. Sei es als Miteigentümer des privaten ÖBB-Konkurrenten “Westbahn” oder als Mehrheitsgesellschafter der Remus-Gruppe, einem Auspuffhersteller. 

Banner auf dem inzwischen geräumten Klimacamp in der Hirschstettner Straße. Bild: Michael Bonvalot

Bei Remus ist Haselsteiner gemeinsam mit seinem Kompagnon Stephan Zöchling aktiv. Seit 2017 auch ganz in der Nähe der künftigen Stadtstraße: Am “Hausfeld” haben sich Haselsteiner und Zöchling einen “riesigen Logistikpark” mit 110.000 Quadratmetern vermietbarer Fläche gekauft, wie der Kurier beschreibt

Im Zentrum ein enorm großes braunes Gebäude, das von den U2-Stationen Aspernstraße und Hausfeldstraße deutlich zu erkennen ist. Warum Haselsteiner und sein Kompagnon genau dort investieren, erklärt Zöchling dem Kurier: “Es gibt in Wien einige Großunternehmen, die entsprechende Logistikflächen benötigen.” Und das Objekt hätte mehrere große Vorteile.

Wien setzt auf LKW-Verkehr

Neben der U2 sei der Logistikpark an die Südosttangente A23 angebunden. Und: Auch die geplante Stadtstraße solle am Objekt vorbeiführen, heißt es bereits 2017. Mit Haselsteiners Logistikpark solle “vor allem der Bereich City-Logistik ausgebaut werden, sprich die Warenverteilung mit kleineren Transportern”. 

Im Klartext: Hier entsteht ein riesiger Umschlagplatz für große und kleine LKWs. Die Stadt Wien ist mit an Bord bei noch mehr Verkehr: Im Februar 2022 präsentierten Stadt und ÖVP-dominierte Wirtschaftskammer eine sogenannte “Zukunftsvereinbarung”. 

Noch mehr LKWs in der Donaustadt 

Durch die Stadtstraße und den Lobautunnel solle “Transit- und Schwerverkehr aus Ortskernen” verdrängt werden, heißt es in der Vereinbarung – womit indirekt zugegeben wird, dass die Stadtstraße eben nicht für die Bewohner:innen der Donaustadt gebaut werden soll. Sondern als Zubringer zwischen Lobautunnel und Tangente gedacht ist.

Das Ziel der neuen Straßenbau-Projekte laut “Zukunftsvereinbarung”: Die noch stärkere “Anbindung der Wiener Betriebsgebiete” an das Straßennetz – und somit an den überregionalen LKW-Verkehr. Also genau an jene Art Infrastruktur, wie sie Milliardär Haselsteiner inzwischen in der Donaustadt besitzt. 

Für die Anrainer:innen bedeutet das vor allem eines: Noch mehr LKW-Verkehr. Mit der Stadtstraße und durch die Stadtstraße. 

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