Ein „Dollfuß-Symposium“ will „nüchtern“ und „fair“ über den Diktator reden. ÖVP-Grande Khol nennt den Austrofaschisten „redlich“, ein Priester lobt seine „Warmherzigkeit“, Publizistin Walterskirchen spricht vom „positiven Gottesstaat“. Ich war für euch dabei.

Den Vogel schießt der Priester ab: Der austrofaschistische Diktator Engelbert Dollfuß sei von „großer Warmherzigkeit, Liebenswürdigkeit geprägt“ gewesen. Das behauptet der katholische Priester Thomas Figl ernsthaft beim „Dollfuß-Symposium“ am 5. Juni in Rekawinkel bei Wien.

Titelbild: Propagandabild der austrofaschistischen Gruppe „Third Position“

Warum gerade in diesem kleinen Ort im Wiener Speckgürtel? Eingeladen zur Veranstaltung hatte die Pfarre Pressbaum, zu der auch Rekawinkel gehört. Und die Kirche von Rekawinkel wurde im Jahr 1934 ganz offiziell als „Engelbert-Dollfuß-Gedächtniskirche“ erbaut. Das soll nun offenbar gebührend gewürdigt werden. Der örtliche Pfarrer Johann Georg Herberstein moderiert dann auch gleich die Veranstaltung.

Khol: „Arbeitermörder war er sicherlich keiner“

Die rechtsdrehende Publizistin Gudula Walterskirchen darf dann Dollfuß als anfänglich „sehr, sehr sozial orientierter Mensch“ loben. Für ÖVP-Mann Andreas Khol gab der Diktator „sein Bestes“. Und Khol versteigt sich gar zur Behauptung: „Arbeitermörder war er sicherlich keiner“.

Das „Symposium“ in Rekawinkel: Andreas Khol und Georg Herberstein. Bild: Michael Bonvalot

Karl Münichreiter, Koloman Wallisch, Georg Weissel, und all die anderen Arbeiter:innen, die Dollfuß im Februar 1934 hinrichten und ermorden ließ, wären vermutlich anderer Meinung. In der Einladung zum „Symposium“ heißt es, dass der österreichische Diktator „nüchtern und fair“ betrachtet werden solle. Die Realität sieht dann anders aus. Auf der Seite der Pfarre Pressbaum führt der Link zur Veranstaltung inzwischen übrigens bereits ins Leere.

Ich war für euch beim „Dollfuß-Symposium“. Und es war übel.

Gefährliche Geschichtsklitterung

Pfarrer Johann Georg Herberstein setzt den Ton der Veranstaltung gleich zu Beginn. Engelbert Dollfuß wäre zwar eine „umstrittene Persönlichkeit“ gewesen. Aber seine Staatsvorstellung wäre doch von „sehr hehren Ideen“ geprägt gewesen. Zur Erinnerung: Herberstein spricht hier vom Führer der Austrofaschist:innen, der 1933 mit einem Putsch die Macht ergriffen hatte. Die Geschichtsklitterung wäre fast skurril. Wäre sie nicht so gefährlich.

Denn wir müssen verstehen, warum solche Veranstaltungen auf einmal wieder abgehalten werden: Der Austrofaschismus kommt international gerade neu in Mode. Vor allem in den USA nehmen sich mächtige rechte Kreise den katholischen Faschismus in Österreich, Portugal und Spanien zum Vorbild. Das zeigt sich auch in sozialen Medien – einem der einschlägigen Kanäle ist auch das Titelbild für diesen Artikel entnommen.

US-Vizepräsident Vance und die Wiederauferstehung des Austrofaschismus

Der selbsternannte „Ständestaat“ samt Abschaffung der bürgerlichen Demokratie wird immer mehr zum „Role Model“ für die Rechten im 21. Jahrhundert. Kein „Klassenkampf“ mehr zwischen den Superreichen und der breiten Mehrheit der Bevölkerung. Stattdessen sollen sich die „unteren Stände“ – also Arbeiter:innen und Bäuer:innen – der Diktatur der Reichen unterordnen. Der rechte US-Politologe Patrick Deenen nennt das „Aristopopulismus“.

Eine aristokratische und reaktionäre Elite solle den Staat führen – als gesellschaftlicher Kitt dienen soziale Geschenke für die Bevölkerung. Und der neue Faschismus hat seine Fans: Deenen sei inzwischen sogar einer der „wichtigsten Ideengeber“ von US-Vizepräsident J.D. Vance, so die katholische Nachrichtenagentur CNA. Und damit ist der Austrofaschismus mitten im wohl wichtigsten Zentrum der internationalen Macht gelandet.

Die rechtskatholischen Eliten vernetzen sich

Die Verbindung der US-Rechten nach Österreich läuft offenbar vor allem über den österreichisch-amerikanischen Zisterziensermönch Edmund Waldstein. Das schreibt die US-Plattform „The Bulwark“. Wie der Mönch drauf ist? Waldstein verteidigte in einem Eintrag auf seinem Blog „Sancrucensis“ einst gar die Todesstrafe für „Ketzer“. Erst, als die Plattform „Feinschwarz“ das aufgriff, ruderte Waldstein im Mai 2025 zurück.

Für US-Konservative offenbar kein Problem: Der rechte Harvard-Professor Adrian Vermeule nennt Waldstein „einen brillanten politischen Theologen“. Und Waldstein spielt auch in Österreich eine gewisse Rolle: So lehrt er etwa „Moraltheologie“ an der Priesterschule im Stift Heiligenkreuz bei Wien – das Stift ist eine der größten Priesterausbildungsstätten im gesamten deutschsprachigen Raum.

Der alte Adel kriecht hervor

Im Klartext: Waldstein beeinflusst an einer wichtigen Schnittstelle die Ausbildung von katholischen Funktionsträgern vor allem in Österreich, aber auch in Deutschland und der Schweiz. Apropos „Aristopopulismus“: Immer wieder tauchen in diesem Milieu in Österreich adelige Namen auf – Waldstein, aber auch Herberstein und Walterskirchen sind nur einige davon.

Pfarrer Herberstein, Moderator des Abends in Rekawinkel, sagte dazu schon 2011 zur NÖN ganz stolz: „Schloss Herberstein ist seit dem Jahr 1290 ununterbrochen Stammsitz meiner Familie. Das ist in Mitteleuropa Rekord.“ Und es sei doch „lächerlich“, den Adelstitel zu verleugnen. Die Nähe zum Adel war bereits ein Merkmal des katholischen Austrofaschismus gewesen.

Auch Herberstein ist übrigens nicht nur irgendein Landpfarrer im Großraum Wien, im Gegenteil: Er kann in der Kirche als hochvernetzt gelten. Bis 2021 war er sogar Direktor der Päpstlichen Missionswerke für die Erzdiözese Wien. Damit war Herberstein der Wiener Verantwortliche für die weltweiten Rekrutierungsbemühungen der katholischen Kirche.

Von der Pandemie zum Austrofaschismus

Beim vermeintlichen Dollfuß-Symposium im Gasthaus „Zu den 5 Starken“ sitzen dann passenderweise fünf Personen auf dem Podium (über deren inhaltliche Stärke durchaus diskutiert werden könnte). Stargast ist ohne Zweifel ÖVP-Grande Andreas Khol – ehemals Präsident des Nationalrats und jahrelang ÖVP-Klubobmann.

Im Jahr 2016 scheiterte Khol dann allerdings als ÖVP-Kandidat bei der Bundespräsidentschaftswahl. Rechts neben ihm nimmt Gudula Walterskirchen Platz. Sie verlor in der Pandemie ihren Job als Herausgeberin der Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN), die mehrheitlich der Katholischen Kirche gehören.

Laut Kurier, weil sie etwa Impfungen infrage stellte. Inzwischen hat Walterskirchen ihre eigene Plattform namens „Libratus“. Die sei eine „Bereicherung der Medienlandschaft“. Das behauptet zumindest Priester Johann Georg Herberstein, der die Veranstaltung moderiert und ebenfalls am Podium sitzt.

Wie ausgewogen ist das denn!

„Libratus“ veröffentlicht etwa Artikel über die angebliche „Kathedrale der Unwahrheiten, die über die Pandemie errichtet wurde“. Lob gibt es dagegen für den Verschwörungsideologen und US-Gesundheitsminister Robert Kennedy. Es ließe sich sicherlich darüber streiten, ob das tatsächlich eine Bereicherung ist.

Die kirchliche Fraktion am Podium wird von Priester Thomas Figl repräsentiert – er ist praktischerweise gleichzeitig der Großneffe des Austrofaschisten und späteren Bundeskanzlers Leopold Figl. Für das Lokalkolorit sorgt schließlich „Lokalhistoriker“ Dieter Halama, der den Besucher:innen viel über Steine in Rekawinkel erzählen wird. Sehr viel.

Bild: Michael Bonvalot

Zweifellos eine illustre Runde für eine abendliche Veranstaltung in einem Wirtshaus nahe Wien (das Wort „Symposium“ ist eventuell ein wenig hoch gegriffen). Einzig an der Ausgewogenheit könnte vielleicht noch gearbeitet werden. Es wäre wegen „fair“ und „nüchtern“. Apropos Nüchtern: Im Publikum sitzen rund 60 Personen, die auch kräftig bestellen. Altersmäßig ist es allerdings eher die Vergangenheit als die Zukunft von Kirche und ÖVP, die sich in Rekawinkel versammelt.

Eine große (faschistische) Familie

Den Anfang macht Gudula Walterskirchen, die auch ein Buch über Dollfuß geschrieben hat („Heldenkanzler oder Arbeitermörder“). Dollfuß sei sehr von der Frage geprägt gewesen: „Wie gewinnt man die Arbeiterschaft, wie gewinnt man die Herzen, wie gewinnt man sie für den Glauben?“ Ob die Bombardierung der Gemeindebauten und Arbeiter:innenviertel im Februar 1934 dabei sonderlich hilfreich war? Das beantwortet Walterskirchen leider nicht.

Politisch „sehr geprägt“ worden wäre Dollfuß vom Österreicher Othmar Spann, so Walterskirchen weiter. Der hätte für den „Aufbau einer neuen Ordnung plädiert“. Walterskirchen zitiert aus Spanns Werk: „Ständische Auffassung heißt, eine große Familie bilden.“ Laut Walterskirchen sei das der „Ausgleich der Gegensätze“ gegen die „Spaltung der Gesellschaft“. Und irgendwie könne das ja auch ein Beispiel für heute sein.

Denn Spann hätte einfach die „Sehnsucht nach dem Zusammenwachsen“ formuliert, nach einer „harmonischen Gesellschaft“. Natürlich mit der „Keimzelle Familie“. Zwischen den Zeilen klingt es ohnehin schon durch – doch Frau Walterskirchen hat da eventuell ein paar Dinge vergessen.

Kinder, Küche, Kirche – und Nazis

Denn Othmar Spann gilt bis heute als zentraler Ideologe des Austrofaschismus und der Heimwehren. Seine „neue Ordnung“ ist der Faschismus. Und seine angeblich „ständische“ Harmonie ist nichts anderes als das Ziel, die organisierte Arbeiter:innenbewegung als Gegenpol zum Kapital zu zerschlagen. Für Frauen gibt es die „Keimzelle Familie“, übersetzt: „Kinder, Küche, Kirche“. Und Spann hatte auch beste Verbindungen zu den Nazis.

Jetzt Journalismus mit Meinung und Haltung unterstützen! 

So war er etwa für die NS-Vorfeldorganisation „Kampfbund für deutsche Kultur“ (KfdK) mit Sitz in München tätig. Beim „Kampfbund“ referierte Spann auch im Jänner 1931 über „Die Kulturkrise der Gegenwart“ – Hitler soll mit zahlreichen Anhängern im Publikum gesessen sein. Der Kampfbund geht später in der NS-Organisation “Nationalsozialistische Kulturgemeinde“ auf. Von all dem erfahren die Teilnehmer:innen des „nüchternen“ und „fairen“ Dollfuß-Symposiums leider nichts.

„Ein Gottesstaat im positiven Sinne“

Stattdessen wird Walterskirchen schließlich fast religiös-verträumt, wenn es um Dollfuß geht. Das Katholische liegt wahrscheinlich in der Familie, bereits die Frau Mama war Präsidentin des Katholischen Familienverbands. Dollfuß hätte schließlich „keine rein politische Agenda“ gehabt, „sondern er spürte eine Mission“. Das hätte sie „sehr beeindruckt“, so Walterskirchen über den faschistischen Diktator.

Für seine Anhänger:innen sei Dollfuß ein „Christkönig“ gewesen, sagt sie. Walterskirchens Fazit über den Diktator: „Es ging ihm um die Errettung der Seelen, er wollte einen Gottesstaat auf Erden machen, im positiven Sinne.“ Wie ein „Gottesstaat im positiven Sinne“ aussieht, erfahren die Anwesenden leider nicht.

Der „nicht diktatorische“ Austrofaschismus

Als nächstes ist Priester Thomas Figl an der Reihe. Er berichtet gleich mal von seiner Schulzeit: Da wäre ein „gewisser Stolz“ gewesen, immerhin hätte seine Schule zwischen 1934 und 1938 „Engelbert-Dollfuß-Gymnasium“ geheißen. Da kommt wohl auch die familiäre Prägung durch.

Denn sein Großonkel Leopold Figl war eben nicht nur Bundeskanzler, sondern vor 1938 auch ein bedeutender Austrofaschist: Figl führte den niederösterreichischen Zweig der katholischen Miliz „Ostmärkische Sturmscharen“, die auch an den Februarkämpfen beteiligt war. In ähnlicher Tonalität geht es dann weiter. Figl beleuchtet vor allem den Aufbau des Austrofaschismus. Seine Behauptung: Die faschistische Maiverfassung von 1934 sei „nicht eine diktatorische Verfassung gewesen“. Interessante Formulierung.

Figl begründet das reichlich originell damit, dass laut dieser Verfassung der Bundespräsident von allen Bürgermeister:innen gewählt werden sollte. Dass die Bürgermeister:innen im Faschismus selbst natürlich nicht demokratisch gewählt wurden? Wen kümmern solche Kleinigkeiten, wenn es um den „Christkönig“ geht?

Dollfuß „von großer Warmherzigkeit, Liebenswürdigkeit geprägt“

Ob Dollfuß ein Diktator war? Priester Figl im O-Ton: „Es wird ja Dollfuß als Diktator bezeichnet, das muss man sehr, das ist ja interessant, sich das anzuschauen, was hier eigentlich, wie eigentlich das Prinzip gedacht ist, das korporative Prinzip, aber anders als die Faschisten in Italien gewollt haben“. Wer aus dem Satz nicht schlau wird: Willkommen im Klub.

Doch dann gibt Figl die erstaunliche Auflösung: Die austrofaschistische Verfassung wäre „der Aufbau der Gesellschaft von unten nach oben“ gewesen. Sagen wir so: Ein faschistisches Regime von Adel und Kapital als „Gesellschaft von unten“ zu bezeichnen, dazu gehört doch eine gewisse Chuzpe. Und schließlich gibt es vom Priester gar noch ein Sonderlob für den Diktator und Massenmörder: „Dollfuß war offensichtlich von großer Warmherzigkeit, Liebenswürdigkeit geprägt“. Die Nachfahren der Februar-Toten werden das sicher interessiert lesen.

„Ich soll schon aufhören?“

Lokalhistoriker Dieter Halama hält in seinem Vortrag zu Beginn wohl noch, was das Publikum erwartet. Dollfuß wird etwa als „Märtyrerkanzler“ erwähnt und gewürdigt. Doch nach der kurzen Aufregung spricht Halama lange. Also so richtig lange. Dollfuß hatte einmal eine kurze Zeit in Pressbaum verbracht, nun wird jedes Steinchen am Wegesrand von Rekawinkel in aller Ausführlichkeit beschrieben und mit Fotos dargestellt. Im Saal wird es zunehmend lauter.

Irgendwann dämmert es Halama und er fragt: „Ich soll schon aufhören?“ Aus dem Publikum ertönen laute Schreie: „Ja!“ Halama geht ab. Böse Zungen könnten fast von einem Putsch sprechen. Und das ist auch die perfekte Überleitung zum letzten Redner und Stargast des Abends: Andreas Khol.

„Ich habe mich diesen Aufforderungen nicht gebeugt“

Der ÖVP-Altpolitiker und katholische Verbindungsstudent war lange Jahre auch Obmann des ÖVP-Klubs im Parlament. Dort hing sogar noch bis 2017 ein Porträt des Diktators, dessen Entfernung über viele Jahre gefordert wurde. O-Ton Khol: „Ich habe mich diesen Aufforderungen nicht gebeugt.“

Denn Dollfuß hätte laut Khol „sein gesamtes Leben in den Kampf gegen den Nationalsozialismus, für ein katholisches Österreich und für ein unabhängiges Österreich gestellt.“ Eine interessante Beschreibung für den austrofaschistischen Putsch im März 1933 und den Aufbau einer faschistischen Diktatur.

Steine werfen mit Andreas Khol

Du kannst das folgende Banner mit einem Klick auf das X wegdrücken und weiterlesen! Oder Du kannst davor noch Journalismus mit Meinung und Haltung unterstützen!

Auf diesem Podium geht Khol dann allerdings sogar als Stimme des Liberalismus durch (was mehr über das Podium aussagt als über Khol). Er gibt zu, dass Dollfuß ein „Verfassungsbrecher“ und „Hochverräter“ gewesen wäre. Aber gleich mit der Einschränkung: „in formalistischer Hinsicht“ und „im Sinne des Strafrechts“.

Khol (und auch Walterskirchen) kritisieren allerdings die Hinrichtung von neun Februarkämpfern nach dem Februar 1934. Die Todesurteile wären „weit überschießend“ gewesen, so Khol. In dem Zusammenhang eine reichlich fragwürdige Wortwahl. Doch insgesamt ist das durchaus elegant: Letztendlich sind diese Todesurteile für eine Gesamtbetrachtung von Dollfuß irrelevant – doch so wirken beide nicht völlig unkritisch. Ob der von Nazis erschossene Dollfuß ein „Heldenkanzler“ war?

Da will sich der ÖVP-Grande nicht festlegen. Dollfuß hätte zwar „Recht und Gesetz“ gebrochen, wäre aber auch „ein Mann, der redlich war, sein Bestes gab“. Und außerdem wisse er ja auch nicht, „wie man sich verhalten hätte“. Khols versöhnliches Fazit: „Wer unter uns ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Eben: Wer kennt das nicht, wer hat noch nie einen faschistischen Putsch durchgeführt?

Mal schnell einen faschistischen Putsch „kommunistisch“ machen

Zeitweise wird auf dem Symposium sogar regelrecht die Geschichte verfälscht. Ob aus Absicht oder aus peinlichem Unwissen, muss offenbleiben. So behauptet Walterskirchen etwa ernsthaft, dass der deutsche Kapp-Putsch von 1920 „ein Umsturzversuch der Kommunisten“ gewesen sei. Tatsächlich handelte es sich um einen konterrevolutionären Militärputsch – den die Arbeiter:innenbewegung durch einen Generalstreik verhindern konnte. Hoppla, da haben wir doch versehentlich die Seiten vertauscht.

Walterskirchen behauptet dann auch noch, dass die Erfahrung mit dem Kapp-Putsch Dollfuß „sehr geprägt“ hätte. Und da wiederum ist Walterskirchen dann doch sehr nah an der Realität, eventuell unfreiwillig. Die Erfahrung eines faschistischen Militärputsches hat Dollfuß offensichtlich tatsächlich nachhaltig geprägt.

Wen kümmern schon Details?

Auch Andreas Khol gleitet zeitweise ins Fantastische ab. So unterstellt er der Sozialdemokratie, dass sie in ihrem Linzer Programm von 1926 das Ziel formuliert hätte, „eine Diktatur“ zu errichten. Doch tatsächlich wird in der entsprechenden Passage zuerst ausdrücklich betont, dass die Sozialdemokratie „die Staatsmacht in den Formen der Demokratie“ ausüben wolle.

Sollten daraufhin aber die Rechten einen rechten Putsch planen, dann, so heißt es, „wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen“. Hier wird also keine Zielvorstellung formuliert, sondern die Abwehr gegen einen rechten Putsch. Doch wen kümmern schon Details?

Die Linken innerhalb und außerhalb der Sozialdemokratie kritisierten diese Passage damals übrigens scharf, sie sei viel zu passiv. Sie forderten stattdessen offensive Maßnahmen und die Machtergreifung, bevor die Faschist:innen putschen würden (was sich im Nachgang als prophetisch erwies). Eventuell wäre es ja bei einem nächsten Symposium „nüchtern“ und „fair“, zumindest vollständige Zitate zu bringen.

Wie die Geschichte zurechtgebogen werden soll

Die gesamte Veranstaltung ist geprägt von einer enormen Geschichtsklitterung. Sowohl der Putsch im März 1933 wie die Niederschlagung des Februar-Aufstands werden bestenfalls in Fußnoten erwähnt. Immer wieder wird betont, dass der Austrofaschismus angeblich kein Faschismus gewesen wäre. Stattdessen wird konsequent die Selbstbezeichnung „Ständestaat“ verwendet.

Auch der Antisemitismus von Dollfuß ist kein Thema. Dass Dollfuß sogar für eine antisemitische Geheimgesellschaft in Wien arbeitete, die „Deutsche Gemeinschaft“ (DG)? Dass er beste Kontakte zu führenden Nazis hatte? Dass die DG sogar der vermutlich wichtigste Zusammenschluss bürgerlicher Nazi-Kreise war? Auch das ist alles kein Thema am „Symposium“. Stattdessen wird Dollfuß zeitweise regelrecht mit Lob überhäuft.

Warum das sehr gefährlich ist

Das alles mag heute ein wenig skurril wirken. Doch worum es tatsächlich geht, sagt dann Andreas Khol: Jetzt wäre es Zeit, die Geschichte „ins Lot [zu] rücken“. Dazu Walterskirchen mit ihrem „Gottesstaat im positiven Sinne“. Und schließlich das internationale Interesse der katholischen Rechten am Austrofaschismus.

Das sind gefährliche Entwicklungen. Wir müssen da hinsehen.

In dieser Recherche stecken drei Arbeitstage. Unterstütz jetzt kritischen Journalismus!

Standpunkt.press wird ausschließlich mit Deiner Unterstützung finanziert. Bitte spende jetzt! Und wenn Du standpunkt.press monatlich unterstützt, können noch viel mehr Recherchen erscheinen. Schon mit fünf Euro im Monat kannst Du einen wichtigen Beitrag leisten. Vielen Dank!

• Spendenkonto – monatlich/einmalig:

IBAN: AT64 1420 0200 1026 2551
BIC: BAWAATWW
Easy Bank, 1100 Wien
Kontoinhaber: Michael Bonvalot
(Bitte die Mailadresse als Verwendungszweck, damit ich Dich bei technischen Fragen erreichen kann!)

• Kreditkarte und Paypal – monatlich/einmalig:



 

• Steady – monatlich: Klick hier für Steady!
[Steady zieht hohe Gebühren ab, Bank/Paypal ist daher besser, wenn es Dir möglich ist!]

• Patreon – monatlich: Klick hier für Patreon!
[Patreon zieht hohe Gebühren ab, Bank/Paypal ist daher besser, wenn es Dir möglich ist!]

Vielen Dank für Deine Unterstützung!

Hast Du diesen Artikel lesenwert gefunden? Schick ihn jetzt weiter!