Der Tod von Lisa-Maria Kellermayr zeigt, wie gefährlich die Corona-Szene ist. Sogar über ihren Tod wird auf Telegram gejubelt. Und im Herbst könnte es richtig übel werden. Ein Kommentar von Michael Bonvalot.

Wir kennen den Text des Abschiedsbriefes von Doktorin Lisa-Maria Kellermayr nicht. Doch es scheint offensichtlich, dass sie in den Tod getrieben wurde. In den Tod getrieben von einer extrem rechts dominierten Corona-Szene, aus der sie über Monate wüst beschimpft und bedroht wurde. Mit dem “Abschlachten”, mit dem “Niederschlagen”, “Fesseln”, “Foltern” und einer “tödlichen Impfdosis”.

Es ist für jeden Menschen mit Empathie nachvollziehbar, welche Angst und Unruhe solche Drohungen bei einem Menschen auslösen können. Und, seien wir hier ganz klar: Genau diese Angst und Unruhe sollten diese Drohungen gegen Lisa-Maria Kellermayr auch auslösen.

Sie freuen sich ganz offen

Das zeigen die Reaktionen in den einschlägigen Kanälen auf Telegram auf den Tod von Doktorin Kellermayr. Die einen freuen sich ganz offen und verbreiten dazu völlig wirre Behauptungen: Jetzt könne die Ärztin “niemandem mehr schaden”, sie hätte schließlich selbst “1000menschen krank gemacht” und “auch ermordet”.

Die anderen behaupten, der mutmaßliche Suizid von Doktorin Kellermayr wäre “Karma” gewesen und schreiben: “Alles kommt zurück”. Dazu sprießen bereits die nächsten Verschwörungserzählungen.

So kursiert etwa in der einflussreichen Telegram-Gruppe “Fairdenken Wien” die Nachricht, Kellermayr sei “erledigt” worden, weil sie “nicht mehr impfen wollte”. Noch im Tod soll Kellermayr für die absurden Verschwörungserzählungen der Szene missbraucht werden. Genau, um solchen Verschwörungen den Boden zu entziehen, wäre es übrigens wichtig und notwendig gewesen, dass die Staatsanwaltschaft Wels eine Obduktion anordnet. Hier könnt ihr lesen, warum der Gerichtsmediziner Peter Hofer eine Obduktion fordert.

Die nächsten Drohungen sind schon online

Und dann folgen auf Telegram bereits die nächsten Drohungen: “Was würdest du machen, wenn eine Ärztin dein Kind wegspritzt”, heißt es auf Fairdenken Wien. Ein User fordert die Todesstrafe für Ärzt*innen, Polizist*innen, Lehrer*innen “und alle andere die mit gemacht haben”.

Zu glauben, dass es möglich wäre, mit dieser Szene “die Gräben zuzuschützen” und zu einer Übereinkunft zu kommen, ist bestenfalls naiv. Vor allem aber ist es ein gefährliches Entgegenkommen. Es wird diese Szene nur noch mehr befeuern, weil sie so das Gefühl bekommen, dass ihr Druck wirkt.

Die Polizei und die Ärztekammer haben sie im Stich gelassen

Von den Behörden wurde Lisa-Maria Kellermayr im Stich gelassen. Sowohl die Polizei wie die Ärztekammer hatten der Ärztin sogar empfohlen, vor dem rechten Mob zu kuschen.

Kellermayr hätte schließlich verstärkt “in die Öffentlichkeit” gedrängt und habe so “ihr persönliches Fortkommen befördern” wollen, behauptete ein Polizeisprecher Ende Juni auf Ö1. Sie trage also eine “Mitschuld” an den Drohungen.

Peter Niedermoser, Präsident der Ärztekammer Oberösterreich, erklärte ebenfalls im Juni gegenüber dem Standard: “Ich sehe ein, dass man sich wehren muss, aber es ist eine andere Frage, ob man sich bei jedem Thema auf Twitter exzessiv zu Wort melden muss.” Manchmal sei es besser, “man zieht sich zurück”. Lisa-Maria Kellermayr hat sich nun endgültig zurückgezogen.

Lisa-Maria Kellermayr. Bild: Twitter

Alle die geschwiegen haben. Alle, die die Drohungen verharmlost haben. Alle, die Kellermayr eine Mitschuld an den Drohungen gegen sie andichten wollten: Sie sind nun auch mitverantwortlich für ihren Tod.

Die ÖVP orchestriert, die Grünen schweigen

Seit Beginn der Pandemie agieren die Behörden enorm und auffallend zurückhaltend gegenüber der extrem rechts dominierten Corona-Szene. Aufmärsche können stattfinden und werden toleriert, sogar wenn sie zuvor explizit polizeilich untersagt worden sind – etwas, was bisher bei linken Demonstrationen undenkbar schien. Angriffe auf die Polizei oder auf Journalist*innen haben kaum bis keine Konsequenzen.

Diese Zurückhaltung ist kein Zufall: Die ÖVP-Strateg*innen, die das Innenministerium dominieren, wissen ganz genau, dass bei den Corona-Aufmärschen ihre Zielgruppe sowie deren Freund*innen und Verwandte marschieren. Da wird nicht so leicht reingeprügelt wie bei einer linken Demo. Da sind Zurückhaltung und Verständnis angesagt. Die ÖVP orchestriert, die Grünen schweigen dazu.

Ich kenne diese Drohungen

Ich weiß, wovon ich spreche. Ich werde laufend über soziale Medien beschimpft und bedroht, auch mit dem Tod. Auf Corona-Aufmärschen werde ich mit Gegenständen beworfen oder mit Pfefferspray angegriffen. Auf einer Wohnungstür, die mir zugerechnet wurde, wurden Drohungen hinterlassen.

Wenn ich von Corona-Aufmärschen berichte, ist es nur noch mit Helm und Schutzausrüstung möglich. Vor allem aber brauche ich ein mehrköpfiges Sicherheitsteam. Von den Behörden kann ich keine Sicherheit erwarten. Für mich ist Aufgeben keine Option. Doch ich verstehe Menschen, die diesem Druck nicht mehr standhalten wollen und können und sich zurückziehen.

Die Corona-Szene mobilisiert bereits für den Herbst

Völlig egal, wie sich die Pandemie entwickelt, die extrem rechts dominierte Szene wird im Herbst erneut auf die Straße gehen. Viele haben Geschmack an den Aufmärschen gefunden, neue politische und persönliche Verbindungen sind entstanden.

Und für die zumeist weit rechten und faschistischen Anführer*innen der Szene soll der Rubel weiter rollen: Einige Gesichter der Szene verdienen mit Spenden und Merchandising mutmaßlich enorm hohe Summen – diese Kuh will weiter gemolken werden.

Damit die Mobilisierungen auch über die Pandemie hinaus weiter funktionieren, setzt die Szene auf neue Themen: Den Krieg in der Ukraine, die Teuerung und die Verschwörungserzählung “Great Reset”.

Der Krieg und die Teuerung werden die Aufmärsche anheizen

Vorgeblich wird für Frieden in der Ukraine demonstriert, tatsächlich geht es um eine Parteinahme für das russische Regime, wie die russischen Fahnen auf zahlreichen Corona-Aufmärschen zeigen. (Hier gibt es übrigens eine Spaltung in der Szene: Die offene Neonazi-Szene ist fast ausschließlich auf ukrainischer Seite.) Die Teuerung, die Heizkosten und die Benzinkosten sind ein weiteres Thema, das in der Szene intensiv diskutiert wird.

Offensichtlich haben einige die Vorstellung, hier eine Bewegung nach dem Vorbild der französischen Gelbwesten etablieren zu können. Die Bedrohung durch die Inflation und die steigenden Preise für Energie, Lebensmittel und Miete könnten der extrem Rechten im Herbst in die Hände spielen. Vor allem, wenn die Linke weiterhin dabei versagt, diese soziale Bedrohung auf die Straße bringen.

Mit der Verschwörung wird mobilisiert

Und schließlich steht über allem die Verschwörungserzählung “Great Reset”. Kurz zusammengefasst geht es dabei darum, dass kapitalistische Eliten angeblich heimlich eine kommunistische Weltregierung etablieren wollen würden. Die Covid-19 Pandemie sei eine “Plandemie” und würde der Umsetzung dieser Pläne dienen. Und ja, es ist so wahnsinnig, wie es klingt. Doch in diese Verschwörungserzählung wird dann alles hinein gepackt, was rechts ist.

Von der “Plandemie” und dem Ukraine-Krieg über Teuerung und Migration bis zum Kampf gegen die Rechte sexueller Minderheiten, von extremen Rechten als “Globohomo” verunglimpft. Und nachdem diese Verschwörungserzählung so völlig beliebig ist, kann sie auch für alles Mögliche herhalten. Und wird damit dazu dienen, die extrem rechten Mobilisierungen weiter zu befeuern.

Die angeblich letzte Generation

Angewandt wird dabei ein Trick, den schon die neofaschistische Gruppe Identitäre angewandt hatte: Es gäbe angeblich nur noch einen ganz begrenzten Zeitraum, um diesen “Great Reset” und einen “großen Austausch” zu verhindern, jetzt sei die Zeit der “letzten Generation”. Doch wenn es angeblich nur noch ganz wenig Zeit gibt, dann sind eben auch buchstäblich alle Mittel erlaubt.

Wozu das führt? 2019 ermordete ein faschistischer Attentäter im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen. Im Mai 2022 ermordete ein Faschist in Buffalo im US-Bundesstaat New York zehn Menschen. Beide Terroristen bezogen sich auf die “Theorie” des “großen Austauschs”.

Hier schließt sich der Kreis zu den Drohungen gegen Doktorin Lisa-Maria Kellermayr. Jedes Mittel war recht, um Kellermayr zu attackieren. Denn auch sie galt als Vertreterin der “Plandemie”. Lisa-Maria Kellermayr hat diesem Druck offenbar nicht mehr standgehalten.

Die extrem rechts dominierte Corona-Szene ist brandgefährlich. Es ist höchste Zeit, dieser Szene endlich entschlossen entgegenzutreten.

Hilfe in Krisensituationen!

Wenn Du oder Dir nahestehende Personen sich in einer psychischen Ausnahmesituation befinden oder Suizid-Gedanken haben, zögere nicht! Es gibt Unterstützung und Hilfe!

Die Psychiatrische Soforthilfe bietet in Österreich unter 01/313 30 rund um die Uhr Rat und Unterstützung im Krisenfall. Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet auch Rat auf Draht unter der Nummer 147. Weitere Informationen und Hilfsangebote findest Du unter https://www.gesundheit.gv.at/leben/suizidpraevention.html.

In Deutschland erreichst Du den psychiatrischen Bereitschaftsdienst rund um die Uhr unter 116 117. In der Schweiz erreichst Du das Ärztefon jederzeit unter 0800 33 66 55.

Wenn Angehörige von Dir betroffen sind, findest Du Informationen, Rat und Materialien unter www.suizidpraevention.at und www.agus-selbsthilfe.de.

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