Chaos bei Österreichs extremen Rechten und Verschwörungsgläubigen! Identitären-Gesicht Sellner tritt bei „Fairdenken“ auf, Verschwörungsideologe Rutter wirft Fairdenken danach vor, mit „Kommunisten“ zu paktieren.
Es ist das alte Problem der äußersten Rechten: Alle wollen Führer spielen. Drei dieser Möchtegern-Mini-Führer krachen jetzt offenbar frontal zusammen: Verschwörungsideologe Martin Rutter, sein ehemaliger Kumpel Hannes Brejcha sowie Identitären-Gesicht Martin Sellner.
Titelbild: Martin Rutter und Martin Sellner bei einem Aufmarsch am 10.09.2022 in Wien. Bild: Michael Bonvalot
Dabei hatten die drei lange gut zusammengearbeitet. Vor allem Rutter und Sellner zeigten sich auch in der Öffentlichkeit gerne gemeinsam, zuletzt gratulierte Rutter seinem Kumpel noch am 27. Juli via Telegram zur „erfolgreichen Demonstration“. Davor war die neofaschistische Gruppe Identitäre in Wien aufmarschiert.
In der Telegram-Gruppe des Verschwörungserzählers Martin Rutter, wo es um angebliche Wettermanipulationen geht, darf nicht über das Thema "Flacherde" geschrieben werden. Weil das ist ja bitte eine seriöse Verschwörungs-Gruppe. 🤡🤡🤡 pic.twitter.com/fHc1tCBCgm
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) August 27, 2024
Zwischen Rutter und Brejcha dagegen ist der Honeymoon schon seit Jahren vorüber. Zeitweise hatten die beiden gemeinsam die rechts dominierten Corona-Aufmärsche in Wien organisiert. Mal gab es Streit, dann wieder Versöhnung. Es erinnerte an das alte Sprichwort: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Doch irgendwann kam dann der endgültige Bruch.
Geld regiert die rechte Welt
Seitdem werden die Mini-Aufmärsche der Verschwörungs-Szene strikt getrennt veranstaltet: Rutter marschiert unter dem Label „direktdemokratisch“, Brejcha mit „Fairdenken“. Und es war keine freundschaftliche Trennung: Auf Telegram befetzen sich die Fans der beiden Grüppchen ebenso regelmäßig wie intensiv.
So mobilisiert die "Fairdenken"-Truppe zu ihrem Aufmarsch heute in Wien: Mit offenem Antisemitismus der übelsten Sorte. Der Davidstern als Zentrum, ringsum die einschlägigen Verschwörungserzählungen und Feindbilder von Nazis und Faschismus. Diese Szene ist gefährlich.#w1803 pic.twitter.com/FcONaF89yf
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) March 18, 2023
Aufregung bei der rechten Corona-Truppe "Fairdenken", wo offen antisemitische Inhalte gepostet werden. Fairdenken-Gesicht Brejcha beklagt sich über 'Möchtegern-Journalisten", die die Inhalte der Gruppe veröffentlichen würden. Deshalb gäbe es offenbar immer wieder Anzeigen. Ups. pic.twitter.com/7dW1ntmaIq
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) June 9, 2023
Sellner lavierte bisher wohl dazwischen und nimmt jedes bisschen Öffentlichkeit, das er bekommen kann. Politische Unterschiede zwischen den beiden Fraktionen sind von außen ohnehin kaum zu erkennen: Beide Grüppchen sind schwer rechts und verschwörungsideologisch unterwegs, beide dienen sich der FPÖ an.
Rutter schimpft über „linksliberale“ Fairdenken
Rechtsaußen Rutter aber sucht dennoch verzweifelt nach Unterschieden. Denn am 29. November hatte die Fairdenken-Truppe einen ihrer Mini-Aufmärsche am Wiener Heldenplatz organisiert. „Special Gast“ [Rechtschreibung im Original] von Fairdenken: Identitären-Gesicht Martin Sellner.
Wer Brejcha und seine höchst skurrile Truppe schon mal live gesehen hat, müsste anmerken: Sellner nimmt offenbar inzwischen wirklich jede Möglichkeit für einen Auftritt dankend an. Rutter dagegen dreht kurz nach dem Aufmarsch auf Telegram komplett auf: In einer Audio-Nachricht stellt er gar die wirre Behauptung auf, Fairdenken wäre „linksliberal“ und beklagt sich über „kunterbunte Gutmenschen“.
Zur Erinnerung: Wenige Stunden zuvor war bei Fairdenken mit Martin Sellner das bekannteste Gesicht der neofaschistischen Gruppe Identitäre aufgetreten. Und der ist jetzt nicht so wahnsinnig bunt oder gut. Und Homöopathen-Sohn Sellner bekommt von Rutter auch ganz direkt sein Fett ab: Der Fairdenken-Aufmarsch wäre kein Erfolg gewesen, obwohl „Martin Sellner und Co seine ganze Reichweite hineingelegt hat“. [Grammatik im Original.]
Das extrem rechte Corona-Gesicht Rutter will jetzt mir gegenüber die krachende Niederlage der neofaschistischen Mobilisierung rechtfertigen. Sellner daneben sagt gar nichts mehr. Es wirkt erbärmlich. #w1009 pic.twitter.com/wtylUnNXEp
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) September 10, 2022
Als Sellner und Rutter noch gemeinsam Aufmärsche organisierten, klang das ganz anders. Da versuchte Rutter mir gegenüber teils verzweifelt, Misserfolge bei der Mobilisierung zu rechtfertigen.
„Nicht mit Linken, Liberalen“, „Kommunisten“
Einen Unterschied mag es allerdings tatsächlich geben: Brejchas Fairdenken-Truppe versucht immer wieder auch Anbiederungen an „die Linke“. So schreibt Brejcha etwa am 30. November auf Fairdenken, dass „die vernünftigen Kräfte der Linken und der Rechten“ vereinigt werden müssten.
Daraus strickt Rutter dann die Behauptung, Fairdenken wäre selbst irgendwie „links“. Er dagegen, so Rutter in seiner Audio-Botschaft, würde nie „mit Linken, mit Kommunisten, mit Liberalen und mit Kickl-Hassern auf der gleichen Seite stehen“. Doch damit wir das einordnen: Brejcha schreibt seine Aufforderung zur Vereinigung direkt unter das Video, wo er die Rede von Sellner postet. Da müsste sich Rutter also wohl wenig Sorgen wegen kommunistischer Umtriebe machen.
Offener Antisemitismus
Und das Ziel der Vereinigung sei laut Brejcha ohnehin, den Kampf gegen die „Globalisten“ zu führen. Globalisten, das ist ein Code, der auch von offenen Antisemit:innen verwendet wird.
Und dieser Antisemitismus wiederum passt perfekt zu Fairdenken – denn im Kanal werden immer wieder eindeutig antisemitische Postings veröffentlicht. Von „links“ ist da also nirgends eine Spur. Manche (vor allem stalinistische) Linke haben allerdings tatsächlich wenig Berührungsängste mit der verschwörungsideologischen Szene. Die Klammer ist da wohl die Sympathie für die Diktatur in Russland.
Das ist ein angeblicher Marsch für Frieden und Neutralität in Wien. Wer dahinter steckt: Stalinisten, wo "Friede" wohl eher ein Code für Pro-Russland ist. Die bekannte Schwurblerin Petrovic. Und beworben auf dem antisemitischen Kanal Fairdenken. Was für eine absurde Mischung! pic.twitter.com/US9yzXN7HZ
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) October 19, 2025
Über Rutters politische Positionen gibt es ebenfalls wenig Zweifel. So beendet er seine Postings gerne mit der Parole „Gott mit uns, wir mit ihm“. Die Parole „Gott mit uns“ stand auch auf den Gürteln der Nazi-Wehrmacht. Im März 2025 stellte dann auch ein Gericht fest, dass Rutter als rechtsextrem bezeichnet werden durfte.
„auf die FPÖ schimpfen“ oder doch Liebe für Kickl?
Doch vielleicht zeigt Rutters wütender Audiokommentar gleichzeitig, worum es tatsächlich geht: um die Aufmerksamkeit der FPÖ. Denn Rutter behauptet auch, dass Fairdenken „auf die FPÖ schimpfen“ würde. Und da wäre er nicht dabei. Dazu wird auf seinen Kanal ein kurzer Video-Ausschnitt veröffentlicht – der zeigt, wie Fairdenken-Aktivistin „Inge G.“ von der Bühne aus FPÖ-Chef Herbert Kickl als „Waldbeißer“ bezeichnet.
Der empörte Kommentar zum Video von User „Admin“ auf dem Rutter-Kanal: „Wie wird dort überhaupt vom zukünftigen Volkskanzler gesprochen?“ Doch tatsächlich ist der Kommentar von „Inge G.“ keineswegs feindselig gemeint, wie sich aus dem gesamten Ausschnitt ergibt. Doch offenbar ist jedes despektierliche Wort gegenüber Kickl für „Admin“ schon eines zu viel.
Und „Inge G.“ rückt auf Telegram ebenfalls sofort aus: Sie wäre doch ohnehin „zahlendes Parteimitglied“ [offenbar der FPÖ], verteidigt sie sich. Und sie schreibt, an Rutter gerichtet: „Dass ich aber auch sagte, dass ich Kickl mittlerweile liebe hast Du ausgeblendet!“.
Die Nähe zur FPÖ kann sich lohnen
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Möglicherweise geht es bei der Auseinandersetzung ja auch um einen finanziellen Verteilungskampf: So kassierte ein Rutter-Verein in Niederösterreich Steuergeld aus dem hoch umstrittenen „Hilfsfonds für Corona-Folgen“. Diesen Fonds hatte die FPÖ zur Bedingung für eine Koalition mit der ÖVP gemacht.
Und im Herbst 2025 organisiert das Freiheitliche Bildungsinstitut sogenannte „Corona-Stammtische“ mit Rutter. Es kann sich also auszahlen, über besonders gute Kontakte zur FPÖ zu verfügen. Andere Finanzquellen dagegen könnten langsam ausrinnen.
So kann etwa davon ausgegangen werden, dass die Spenden für die Szene nach dem Ende der Pandemie deutlich gesunken sind – es verschärft mutmaßlich die äußerst rechte Konkurrenz.
Es geht um richtig große Summen
Doch bevor jemand Mitleid entwickelt, es geht hier um richtig viel Geld: So wurde Anfang 2025 ein bekannter Verschwörungsideologe in Wien wegen gewerbsmäßigen Betrugs rechtskräftig zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Er hatte Sozialleistungen bezogen, obwohl er über 200.000 Euro auf seinem Konto liegen hatte. Beim Prozess wurde öffentlich, dass allein eine einzige Crowdfunding-Kampagne dem Mann rund 170.000 Euro eingebracht hatte (aus medienrechtlichen Gründen wird auf die Nennung des Namens verzichtet).
Bei seinen öffentlichen Auftritten wirkte der Mann zumeist komplett erratisch und wirr, er hatte auch keine allzu große Gefolgschaft. Wir können also davon ausgehen, dass andere noch wesentlich mehr kassiert haben. Womit sich nicht zuletzt der Kreis zu Identitären-Gesicht Sellner schließt. Meine ausführliche Recherche über die Geldflüsse der extremen Rechten und der Verschwörungs-Szene kannst Du hier lesen.
Denn vor allem beim Geld gilt wohl: Jeder will der Mini-Führer sein. In der Praxis führt das allerdings zu einem völlig absurden Rosenkrieg. Aber immerhin: Von außen ist es durchaus witzig, dabei zuzusehen.
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