Erik Ahrens war rechter Influencer, Identitärer und offener Nazi. Nun kämpft er für das Verbot rechtsextremer Strukturen. Im Gespräch mit mir erzählt Ahrens über österreichische und deutsche Identitären, über irre Aufnahmerituale und über „Theaterchoreograph“ Sellner.

Er galt als Kopf der erfolgreichen TikTok-Strategie von AfD-Rechtsaußen Maximilian Krah. Sein Ziel: Die AfD noch weiter nach rechts treiben. Dazu arbeitete er über Jahre eng mit der neofaschistischen Gruppe Identitäre und mit Identitären-Gesicht Martin Sellner zusammen. Unter anderem gründete er in Zusammenarbeit mit den Identitären das rechte Bildungsangebot „GegenUni“. Doch irgendwann waren ihm selbst die Identitären nicht mehr radikal genug: Schließlich wollte Erik Ahrens eine Eliteorganisation nach dem Vorbild der SS aufbauen.

Vor wenigen Monaten ist er nach eigenen Angaben aus der Szene ausgestiegen. Beim Ausstieg half ihm seine Freundin, wie er sagt. Erik Ahrens und ich haben extrem lange miteinander gesprochen, teils ist auch seine Freundin anwesend. Damit das Interview nicht zu lange wird, wird es im ersten Teil ausschließlich um die Arbeit von Ahrens mit der Gruppe Identitäre gehen – und da vor allem über den österreichischen Ableger der Neofaschist:innen. Der heute 31-jährige erzählt über die Arbeitsweise der Gruppe, die Strukturen und seine Erfahrungen mit den führenden Aktivisten.

In den nächsten Teilen, die bald erscheinen, sprechen wir dann unter anderem über die FPÖ und die AfD, die Finanzen der Szene, den Einfluss von OnlyFans und über Sellners Sardinen.

Wie glaubwürdig ist der Ausstieg von Ahrens?

Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen dem Rückzug aus der Szene und dem Ausstieg. Viele Faschist:innen und Nazis ziehen sich zurück – weil sie älter werden oder aus Sorge vor strafrechtlicher Verfolgung. Sie brechen aber nie öffentlich mit der Ideologie und haben damit jederzeit einen Weg zurück. Etwas ganz anderes ist der öffentliche Bruch, wie ihn Ahrens vollzogen hat.

Erik Ahrens. Bild: Privat, mit freundlicher Genehmigung

Wir können in niemanden hineinschauen, letztlich kann die Ernsthaftigkeit also gar nicht beurteilt werden. Es gibt aber einige Indizien, die den Ausstieg glaubwürdig erscheinen lassen: So schont oder relativiert Ahrens seine eigene Rolle nicht. Und er berichtet über Strukturen. Unser Gespräch war kein klassisches „Debriefing“, wie es eine antifaschistische Recherche-Struktur durchführen würde.

Wir haben also nicht stundenlang Namenslisten abgearbeitet. Allerdings hat Ahrens selbstständig zahlreiche Namen, Strukturen und Adressen genannt und bereitwillig Auskunft gegeben, wenn ich danach gefragt habe. Einige Angaben von Ahrens sind auch strafrechtlich relevant. Bei manchen Fragen zur internen Struktur der österreichischen Identitären hatte er wenige Antworten. Doch es ist möglich und nachvollziehbar, dass er das tatsächlich nicht weiß.

Gleichzeitig nennt Ahrens Finanziers und belastet Leute aus der Szene auch strafrechtlich. Ich kann mir aktuell nicht vorstellen, wie es für ihn einen Weg in die rechte Szene zurückgeben sollte. Auch das Gespräch mit mir wird für viele Rechte ein Schlag ins Gesicht sein.

Identitären-Gesicht Sellner beim Versuch, mich an der Berichterstattung zu hindern. Bild: Michael Bonvalot

Ahrens selbst sagt, dass er einfach wie eine Quelle behandelt werden solle. Niemand müsse ihm seinen Ausstieg glauben – doch seine Angaben sind da und können verwendet werden. Das scheint mir ein sehr vernünftiger Zugang.

Michael Bonvalot: Du bist nach eigenen Angaben aus der rechten Szene ausgestiegen. Warum sollen wir Dir das glauben?

Erik Ahrens: Man muss mir gar nichts glauben. Die Leute sollen einfach die Sachen, die ich sage, nehmen und für sich betrachten. Es muss mich auch niemand nach Hause einladen und sich mit mir an einen Tisch setzen. Die Leute können mich einfach als Whistleblower betrachten und schauen, was ich zu sagen habe. Beispielsweise habe ich es jetzt geschafft, Maaßen aus der Werteunion zu kicken. Und ich kann die Sachen, die ich sage, alle auch belegen. [Anmerkung Michael Bonvalot: Nachdem Ahrens öffentlich gemacht hatte, dass er als Nazi mit Maaßen zusammengearbeitet hatte, verlor dieser den bereits länger schwelenden Machtkampf in der rechten „Werteunion“.]

Wenn jemand sagt, ich bin shady, dann ist das ja deren Entscheidung. Die sollen einfach die Informationen nehmen, die ich gebe und sie auf die Waage legen. Beispielsweise in einem möglichen AfD-Verbotsverfahren. Ich bin weder der Heilige noch der Teufel. Ich bin halt ein Mann mit einer problematischen Nazi-Hintergrund-Geschichte. Im Grunde muss man mich betrachten wie einen Mafia-Aussteiger. Natürlich habe ich eigene Interessen. Ich finde den Vorwurf auch schwachsinnig, dass ich eigene Interessen verfolge. Das machen alle Menschen. Wer das nicht zugibt, ist ein Lügner.

Ich hätte es mir auch einfach machen können, mich in die Unsichtbarkeit zurückziehen und unter falschem Namen aus dem Ausland irgendein Business aufbauen. Könnte ich machen, mache ich aber nicht. Ich will die extreme Rechte bekämpfen. Mein Ziel ist ein AfD-Verbotsverfahren.

Gleich zu Beginn: Haben wir uns eigentlich jemals auf einem der zahlreichen Aufmärsche der Gruppe Identitäre getroffen? Du weißt ja, dass ich regelmäßig vor Ort berichte. Hast Du mir auch mal einen Schirm ins Gesicht gehalten?

Nein, ich bin da nie hingegangen, das war mir immer zu asozial, ich sage es dir ehrlich. Ich war nie in Wien oder sonst wo mit denen auf der Straße. Ich wollte durch intellektuelle Vorfeldarbeit anderes Personal für die Szene generieren, aber die Leute, die ich vor Ort kennengelernt habe, die waren mir immer einfach zu, ja, asozial.

Das Abschirmen von Journalisten mit dem Schirm ist übrigens vor allem eine Choreografie. Wie im Film 300, wir sind die Spartaner und wir haben den Schildwall und so.

Klar, denn real ist das ja völlig sinnlos. Dann halte ich die Kamera eben über die Schirme drüber oder stelle mich an einen erhöhten Punkt. Sie wollen wohl Militanz und den Schutz der eigenen Leute vor unerwünschten Bildern vermitteln, aber tatsächlich bringt das natürlich überhaupt nichts.

Genau. Es ist letztlich reines Theater, Martin Sellner ist ein Theaterchoreograf, vom Charakter her. Der kann solche Sachen inszenieren. Die anderen machen einfach, was er ihnen sagt, damit sie dann auch mal im Rampenlicht stehen. Im Grunde will jeder von denen einfach nur gesehen werden und bettelt um Aufmerksamkeit.

Gleichzeitig wollen sie wohl verzweifelt die Kontrolle über die eigenen Bilder behalten. Ihre Inszenierung und Bildsprache sind ja immer eindeutig: Masse, Macht und Männlichkeit. Und immer von unten fotografiert. Sellner selbst ist ja auch recht klein.

Ja genau, Sellner lässt sich immer sehr gern von unten fotografieren. Von vorn oder von oben eher nicht so gern.

Ich glaube übrigens, dass es sich gerade jetzt lohnt, sich mit der Gruppe Identitäre zu beschäftigen. Da kommt gerade Bewegung rein. Denn die werden sich radikalisieren. Und gleichzeitig wird es wohl auch Streit geben. Der Hype um die Identitären ist vorbei, sie haben mit dem monothematischen Rassismus kein nachhaltiges Erfolgsmodell und gleichzeitig sind sie alle mit Namen und Gesicht in die Öffentlichkeit gegangen. Sellner besetzt den ganzen Platz, doch irgendwie müssen sich auch die anderen finanzieren. Da kämpft dann jeder für sich alleine. Jeder will der nächste Sellner sein.

Der Interviewer macht den Limbo, damit Sellner nicht so klein erscheint. Bild: Michael Bonvalot

Denen geht es wohl auch persönlich nicht so gut. Schau dir mal Maximilian Märkl an, den Sprecher der IB Deutschland. Der ist in den letzten zwei Jahren gefühlt um zehn Jahre gealtert. Der sieht nicht mehr frisch aus. Warum? Das ist ein richtiges Scheißleben, auf das sie sich eingelassen haben.

Da haben einige Leute viel gegeben und sind jetzt richtig lost. Das ist alles extrem instabil und brüchig und der Kuchen ist zu klein für alle. Dazu hat keiner von denen das Charisma, eigene Reichweite aufzubauen. Das heißt, es geht nur um Sellners Bestandsreichweite. Die wollen alle und es kannibalisiert sich.

Der Laden wird richtig auseinanderfliegen. Der nächste Konflikt bei den Identitären wird ein interner Konflikt sein. Denn Sellner kann kein Spotlight hergeben, weil er die Aufmerksamkeit finanziell selbst braucht. Es gibt zu viele Streithähne, zu viele Männer mit zu viel Testosteron im Blut. Gleichzeitig zu wenig Geld, zu wenig Publikum, zu wenig Reichweite und viel zu wenige Frauen, um die sie sich streiten. Und das muss man jetzt auch mal anpiksen. Das mache ich zum Beispiel, indem ich sie die ganze Zeit öffentlich konfrontiere.

Indem ich sie zum Beispiel darauf hinweise, dass sie kein Geld mehr haben, dass sie broke sind, während Sellner Spenden kassiert. Und dem geht es nach meinem Eindruck finanziell auch nicht mehr so gut. Das Debanking wirkt. [Anmerkung Michael Bonvalot: Sellner und andere extreme Rechte haben inzwischen große Schwierigkeiten, Konten zur Finanzierung ihrer Propaganda zu bekommen. Einige Konten wurden auch nach einer Recherche von mir gekündigt.]

Sellners Frau Brittany kommt aus einer reichen Familie, die hat sicherlich den Anspruch auf einen gewissen Lebensstandard und auf Reisen in die USA. [Anmerkung Michael Bonvalot: Brittany Sellner, geborene Pettibone, ist eine US-amerikanische extrem rechte Influencerin. Nach der Heirat mit Sellner hat sie die sichtbare politische Aktivität de facto eingestellt und ist nach Österreich migriert.]

Die Truppe nennt sich ja selbst großspurig Identitäre Bewegung. Ich schreibe stattdessen immer von der „Gruppe Identitäre“, denn eine Bewegung kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Was hältst Du davon?

Es gibt keine Identitäre Bewegung. Es ist eine Fake-Bewegung. Es gibt real fünf Aktivistengruppen: In Sachsen, in Schwaben, in München, in Wien und in der Schweiz. Und die operieren unter dem Label Bewegung. Auch mit den ganzen Tarnnamen wollen sie so tun, als wäre das ganz graswurzelmäßig. Den Eindruck wollen sie erwecken, aber das sind sie eben nicht. Wer den Namen Bewegung verwendet, geht ihnen schon auf den Leim.

Es gibt den rechtsextremen Influencer Martin Sellner, den rechtsextremen Influencer Dennis Braun („Arminius“), den rechtsextrem Influencer Yannik Wagemann und ein paar andere. Dazu gibt es ein paar Aktionsgruppen. Und das war es. Aber ich würde nie sagen „Die Identitären“, sondern nur von den Gruppen sprechen.

Wenn Du sagst, dass einige Leute broke sind und jeder der nächste Sellner sein will, zu welchen Konflikten kann das führen?

Dennis Braun etwa und anderen, denen muss man doch sagen: Du bist broke. Du machst Aktivismus, damit Sellner Bücher verkauft und mit seiner Frau gut leben kann. Warum kannst Du nicht gut leben? Sellner ist der König und will nicht, dass ihm jemand den Rang abläuft.

Kürzlich gab es eine Identitären-Aktion am Oktoberfest, die ebenfalls für Konflikte sorgen könnte. Vielleicht kurz zur Erklärung für die Leser:innen: Am 4. Oktober 2025 versuchten identitäre Aktivisten am Oktoberfest ein Banner zu entrollen. Laut Augenzeug:innen gaben sie sich als Radiosender aus, verteilten weiß-blaue Zettel und versuchten, unwissende Wiesn-Besucher:innen für eine Foto-Aktion zu missbrauchen. Die Aktion scheiterte an aufmerksamen Passant:innen.

Was an der Aktion auffiel: Bisher hatte die Gruppe bei Aktionen auf irgendwelchen Hausdächern oder Denkmälern immer ihre eigenen Leute eingesetzt. Doch jetzt wurde erstmals versucht, andere Menschen gegen deren Willen zu instrumentalisieren.

Ich fand die Aktion bezeichnend. Denn das war eigentlich ein radikaler Bruch mit ihrer Strategie. Und das ging gehörig schief. Die angeblich schlafende Mehrheit hat den Identitären gezeigt, was sie von ihnen hält. Ich fand es extrem schade, dass da nur Du und zwei andere berichtet haben. Dabei ist gerade so etwas im Kampf gegen Rechts entscheidend.

Ich fand auch bezeichnend, was Sellner danach getwittert hat. Er schrieb über „primitiv-extremistische Rechte“, die „keine Politik sondern digitale Selbstfindung betreiben“ und beklagte sich über „Rechte, Spasten, Spinner, Militante“ mit „erratischen Ausrastern“, die „politische Masturbation betreiben“. Sellner hat zwar keine Namen genannt, aber der Zeitpunkt unmittelbar nach der Aktion in München ist schon sehr auffallend. Das war eindeutig eine Zurechtweisung gegen die eigenen Leute.

Ich habe vor kurzem einen Artikel geschrieben, warum die Identitären eigentlich tot sind es und nur noch nicht wissen. Ich glaube auch, dass ein wesentlicher Faktor ist, dass die FPÖ und die AfD das potentielle Milieu der Gruppe aufsaugen. Warum soll ich zu den Identitären gehen, wenn ich auch zur Jugend von FPÖ oder AfD gehen kann? Sie verlieren ja auch regelmäßig Leute an die Parteien. Auch ihre Vorfeldstruktur „Die Österreicher“ ist wohl real daran gescheitert.

Nach meinem Eindruck haben sie auch ein enormes Problem mit ihren Kadern und ihrer Fluktuation. Die erste Generation der Identitären in Österreich ist außer Sellner und Martin Semlitsch („Lichtmesz“) komplett weg. Früher gab es Edwin Hintsteiner, Phillip Huemer, Luca Kerbl, Patrick Lenart, Alexander Markovics, Fabian Rusnjak oder Thomas Sellner. Später spielte noch Roman Möseneder kurz eine Rolle. Teils sind die Leute weiter in der extrem rechten Szene aktiv.

Markovics hat sich schon früh von den Identitären getrennt und betreibt jetzt ein russophiles Projekt. Der gewaltbereite Rusnjak arbeitet jetzt als parlamentarischer Mitarbeiter für die FPÖ. Huemer ist bei der Verschwörungsplattform AUF1 gelandet. Und Kerbl betreibt in Graz das Kampfsportzentrum Zitadelle. Aber bei den Identitären machen die wohl nichts mehr. Und mir kommt vor, jede Generation, die nachkommt, wird inhaltlich schwächer.

Stimmt, teilweise geht es da auch um politische Differenzen. Ein paar Leute wollten etwa eine „BaBo“-Strategie, also „Bande und Block“. So Kampfsport mit einer Art „national befreiter Zonen“. Sellner war dagegen. Da gibt es also immer wieder Konflikte.

Und die, die nachkommen, sind richtig schlecht. Ernstnehmen kann ich die alle nicht. Schau Dir etwa Jakob Gunacker an, den Sprecher von „Die Österreicher“. Das ist doch wirklich ein tragischer Fall. Und natürlich Yannick Wagemann, den Sellner gerade aufbauen will. Oder Wieland Kubitschek, den Sohn von Götz Kubitschek, der jetzt in Wien ist. Wagemann und Kubitschek sind aktuell neben Sellner in Wien auch die wichtigsten Figuren. Doch wenn ich die sehe, bin ich richtig froh, wie sich das bei denen entwickelt. Denn wenn das ihr Nachwuchs und ihre nächste Generation sein soll, dann haben sie wirklich ein Problem.

Bei einer Identitären-Kundgebung am 29.07.2023 fordert IBÖ-Sprecher Wagemann ein „Platzverbot“ für mich. Bild: Michael Bonvalot

Wagemann habe ich vor allem als richtig seltsamen Typen erlebt, der vor meiner Kamera herumhüpft. Sellner hat ihn zwar kürzlich in einem Video als neuen Sprecher der IB vorgestellt, aber dabei hat er ihn eigentlich eher vorgeführt. Der Deutsche musste etwa im Wiener Dialekt nachplappern, was Sellner vorplapperte. Das war zum Fremdschämen.

Genau. Und dazu darf auch keiner von denen Alleinstellungsmerkmale entwickeln. Sie dürfen gar nichts anderes sagen als Remigration. Eigentlich sollte man denen allen möglichst viel Reichweite geben. Und dann noch zeigen, wie diese Typen wirklich drauf sind und wie strange sie sich entwickeln.

Es gibt ja neben Sellner nur noch einen Kader, der aus der Frühzeit übriggeblieben ist, Martin Semlitsch, der sich gern germanisch Lichtmesz nennt.

Das ist schon ein richtig seltsamer Typ. Der macht auch immer noch irgendwo im Harz in Deutschland regelmäßig in einer Location Gothic-Partys und legt dort auf. Ich hab da Aufnahmen gesehen, das ist richtig cringe. Das entspricht überhaupt nicht mehr dem, wie die jungen Identitären drauf sind. Die würden da nie hingehen. Semlitsch ist ein reines Feigenblatt, um zu sagen, wir haben auch Künstler und Avantgarde. [Identitären-Ideologe] Götz Kubitschek sagt, das ist unser Künstler und dann ist er der Künstler. So funktioniert das, das sind autoritäre Strukturen.

Wobei es gerade in Wien interessanterweise durchaus eine Tradition in der extremen Rechten gibt in Richtung Gothic und Neofolk und dann in weiterer Folge auch entsprechende elektronische Musik. Die fanden wohl vor allem das Elitäre an Gothic gut und dass auch viel Deutsch gesungen wurde. Das war aber vor allem in den 1990er Jahren. Da gab es auch regelmäßig Stress, weil viele wichtige Leute in der Wiener Gothic-Szene Linke waren und diese Leute raushaben wollten.

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Ja, doch inzwischen ist das für die Jungen einfach aus der Zeit gefallen. Für die wirkt Semlitsch nur strange. Als Grufti-DJ wäre der eine kleine Nummer. Die Leute aus dem Nachwuchs finden ihn weder cool noch rezitieren sie ihn. Die tolerieren ihn halt, weil er in Schnellroda rumlabert. [Anmerkung Michael Bonvalot: In Schnellroda lebt Identitären-Ideologe Kubitschek].

Ist es nicht ein großes Problem, wenn laufend die älteren und erfahrenen Leute wegbrechen?

Einerseits ja. Aber andererseits darfst Du Dir das nicht vorstellen wie eine linke Gruppe, wo über Jahre und Jahrzehnte Strukturen aufgebaut werden. Das ist alles sehr auf Aktivismus ausgerichtet. Und dann kommen eben die nächsten jungen Leute.

Bei den Identitären geht es immer nur um die nächste Aktion, sonst ist Krise. Sie fühlen sich wie in einem Endkampf, weil sie glauben, dass der Bevölkerungsaustausch kommt. Die fühlen sich wie 1944 im Defensivkampf um das Reich. Da gibt es kein Treffen jeden Donnerstag, um die nächsten Wahlen zu planen. Sondern da muss jetzt die nächste Aktion her, sonst ist angeblich Deutschland oder Österreich am Ende.

Die kommen nur zu Aktionsplanungen zusammen, da gibt es nicht so ein regelmäßiges Organisationsleben. Die Gruppe in Schwaben etwa ist auch regional sehr verstreut mit Ulm und Augsburg. Die Schwaben und die Junge Tat in der Schweiz funktionieren übrigens real wie eine gemeinsame Struktur.

Regelmäßige Treffen gibt es vermutlich in Wien. Hin und wieder gibt es überregionale Schulungen, aber Du darfst das nicht mit linken Gruppen vergleichen, die regelmäßig inhaltlich ausbilden. Das machen die Burschenschaften.

Apropos, wie siehst Du das Verhältnis der Identitären zu den Burschenschaften und deutschnationalen Studentenverbindungen?

In Wien kommt der Nachwuchs vor allem über die Burschenschaften. Das ist auch ihr Problem in Deutschland, da gibt es viel weniger Burschenschaften, damit haben auch die Identitären weniger Nachwuchs. In Wien sind eigentlich die Studentenverbindungen die Basis und die Identitären sind der Überbau. Vermutlich fließt über die Burschenschaften auch Geld zu den Identitären. Aber das ist einfach eine widerliche Szene. Die sitzen auf den Buden und saufen und dann singen sie entweder „Sturm bricht los“ oder nach dem fünften Bier irgendwas von „Mr. Bond“.

[Anmerkung Michael Bonvalot: „Mr. Bond“ ist das Pseudonym des Neonazis Philip H., der aktuell in Wien eine zehnjährige Haftstrafe verbüßt. Sein Bruder Benjamin H. wurde im gleichen Prozess zu vier Jahren verurteilt, nachdem er die Feindesliste „Judas Watch“ ins Netz gestellt hatte, auf der unter anderem ich genannt war].

Das ist eine widerliche Dreckszene und die stinken nach innen von Kotze. Ich habe in Wien übrigens auch immer auf der Bude der Burschenschaft Teutonia im achten Bezirk gewohnt. Das war so richtig versifft. Warst Du da schon mal drin?

Nein, immer nur davor. Schaut aber schon von außen recht abgewohnt aus.

Das ist wirklich ein unfassbar ekelhafter Ort. Einmal roch es wirklich übel nach Kotze. Einer hat mir dann erklärt, dass die Putzfrau krank wäre und normalerweise seine Freundin putzt. Aber die hätte das diesmal nicht gemacht. Und das Haus ist auch weitgehend leer.

Da wohnen auch seit Jahren die gleichen paar Typen drin. Die haben offensichtlich enorme Nachwuchssorgen. Ich glaube, ein Typ wohnt seit über einem Jahrzehnt dort. [Anmerkung Michael Bonvalot: Diese Angaben von Ahrens können nicht überprüft werden und es gilt die hygienische Unschuldsvermutung.]

Gleichzeitig haben die Identitären in Österreich ja versucht, mit „Die Österreicher“ eine Vorfeld- und Tarnorganisation aufzubauen. Das ist auch in die Hose gegangen. Ich sehe dafür eigentlich auch keinen Platz. Wer sowas will, der geht doch gleich zur FPÖ.

Von der Alterszielgruppe würde das schon funktionieren. Das Milieu, auf dem Sellner aufbaut, sind ja Boomer, ältere Leute. Das sind die Leute, die ihm in sozialen Medien folgen und die Geld spenden. Aber die passen dann wieder nicht zum Aktivismus. Sellner ist Bespaßung für Boomer. Der wäre ein guter Fernsehmoderator für ein Format, das Boomer anschauen.

Rechter Schwiegersohn für rechte Schwiegereltern?

Ja, genau. Und wenn es ihn nicht gäbe, würde die ganze Gruppe aufhören, zu existieren.

Wie hast Du Sellner eigentlich persönlich erlebt?

Als ich ihn das erste Mal getroffen habe, hat mich an ihm begeistert hat, dass er sehr produktiv ist. Er lebt das Influencer-Leben full time, hat extrem viel Output. Aber inhaltlich: Diese Verabsolutierung des Ausländerthemas, diese krasse Stagnation, das fand ich langweilig.

Das fand ich schon als Rechter komisch. Warum er so von diesem Ausländer-Raus-Wahn vereinnahmt ist. Warum reduziert jemand das ganze Leben auf dieses eine Thema?

Wie funktionieren denn die internen Strukturen der Identitären?

Das ist natürlich alles autoritär organisiert, also von oben nach unten. Ich glaube etwa nicht, dass da irgendjemand gewählt wird. Eigentlich mehr wie Scientology. Gleichzeitig aber auch ziemlich lose. Der feste Kern sind nur die, die Du auf Social Media siehst. Es gibt quasi keine Leute, die über einen längeren Zeitraum aktiv sind, ohne selber vor der Kamera zu stehen. Außer sie sind halt sowieso Burschenschafter oder in der FPÖ-Jugend oder in anderen Strukturen.

Gerade Scientology ist sehr straff organisiert.

Stimmt. Sagen wir: Sie wären gerne Scientology. Es ist letztlich eine Sektenstruktur, die das Versprechen macht, dass Du irgendetwas erreichst. Scientology macht das Versprechen, dass Du aufsteigst und ein Erleuchteter wirst. Und die Identitären versprechen Dir, dass Du der nächste Martin Sellner wirst. Funktioniert aber beides nicht.

Aber irgendjemand muss ja trotzdem Aktionen organisieren, die Leute zusammenrufen, die Finanzen kontrollieren oder, ganz banal, dafür sorgen, dass im Zentrum mal geputzt wird.

In Wien sind das derzeit Wagemann und Kubitschek. In Wien gibt es natürlich auch eine Handvoll Leute, vielleicht zehn oder zwanzig. Es gibt aber keine Struktur im Sinne von Zusammenhalt. Und putzen, na das wird dann wahrscheinlich irgendein Mädchen machen, die Freundin von irgendeinem. Klassisch sexistisch. Im Grunde funktioniert das ähnlich wie eine Räuberbande. Die Struktur funktioniert solange, wie jeder der Beteiligten denkt, dass für ihn persönlich irgendwas rausspringt.

Im Steyregg bei Linz hat die Gruppe Identitäre das Castell Aurora, also ein eigenes Zentrum. Dazu gibt es sicherlich Leute im Raum Klagenfurt/Steiermark.

Ja, aber es gibt keine Gruppen, es gibt keine Bewegung

Wie wird jemand eigentlich Mitglied bei den Identitären?

Es gibt keine Mitgliedskarten oder so. Bei der Gruppe bist Du, wenn Du aktiv bist. Doch für die Aufnahme gibt es teils komplett schräge Initiationsriten. Die Wiener haben ein Ritual, wo Du nachts mit verbundenen Augen zwei oder drei Stunden durch den Wald geführt wirst. Dann kommst Du an einem Ort an, wo Du nichts sehen kannst. Und dort wird Dein Kopf unter Wasser gehalten, bis Du fast ertrinkst. Wer es nicht schafft, das durchzuhalten, kann nicht Teil der Gruppe sein.

Und dort wird Dein Kopf unter Wasser gehalten, bis Du fast ertrinkst.

Ich war am ehesten mit der Gruppe in Schwaben verbunden. Bei der schwäbischen Gruppe wäre es so gewesen, dass Du boxen musst. Und dann gibt es einen Schwur und Met wird aus einem Horn getrunken und es gibt ganz viel Germanenzauber.

Ich hatte vorher auch noch die Vorbereitung mitgemacht, aber ich bin an dem Tag krank geworden, deshalb habe ich nicht geboxt. Sonst wäre es so, dass Du in einem Ring stehst und kämpfst, und die anderen stehen mit Fackeln herum. Ich bin da also irgendwie durchgerutscht.

Und was ist, wenn Du nicht boxen kannst oder keine Lust hast, Dich gegenseitig in die Pfeife zu hauen?

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Einerseits ist es eine Show. Wenn Du nicht boxen kannst, dann bekommst Du einen anderen schlechten Gegner. Aber wer sich komplett verweigert, der kann nicht Teil der Gruppe sein. Oder Du hast Pech. Also derjenige, den sie gegen mich antreten lassen wollten, der war ein Neuer, der war Fallobst. Ich kann boxen. Ich hätte den also einfach verprügeln sollen.

Im Grunde war die Idee, dass ich den jetzt umhaue. Aber ich war halt krank, deshalb ist es nicht passiert. Ich bin deshalb irgendwie durchgekommen. Ich war aber auch nie bei Aufmärschen am Banner, ich war nie Teil der IB an sich. Ich war eher freischwebend.

Wie ist die Aufnahme für Frauen?

Frauen gibt’s nicht. Also das ist einfach nicht vorgesehen.

Aber gibt es dann für Frauen überhaupt die Möglichkeit, Mitglied bei den Identitären zu werden oder ist es einfach technisch nicht möglich?

Ja, doch nur in einer Rolle als Mädchen. Das ist eine eigene Rolle. Die kochen dann halt oder kümmern sich um die verletzten „Krieger“. Ich war einmal auf einem Aktivisten-Wochenende, da waren dann zwanzig Typen und zwei Mädchen, Anni und Senta. Die eine war vergeben und um die andere streiten sich dann alle. Und alle dort wollen irgendwie im Mittelpunkt stehen. Davon lebt die gesamte Gruppe.

Und wie kannst Du aus der Gruppe wieder austreten?

Nachdem es keine formelle Mitgliedschaft gibt, kannst Du auch nicht austreten. In einer normalen Gruppe gehst Du einfach nicht mehr hin, aber das funktioniert in dem Fall nicht so gut. Es wird schon ziemlich viel Druck gemacht. Du bist drin, dann solltest Du auch drinbleiben. Okay ist es nur bei den alten Kadern, da bist Du dann halt zu alt und kannst gehen.

Viele verwenden auch eine angebliche nicht-rechte Freundin als Ausrede. Ich kann nicht kommen, sonst ist meine Freundin böse. Oder die Oma der Freundin hat Geburtstag. Und wenn Du das lange genug machst, nimmt natürlich der Druck ab und irgendwann lassen sie Dich dann in Ruhe. Und manchmal ist es tatsächlich so, dass Leute eine nicht-rechte Freundin haben, die sie rauszieht. Aber Du darfst natürlich niemals öffentlich gegen die Gruppe reden.

In Österreich sind die Identitären eine Gründung von Nachwuchs-Neonazis und Korporierten. Die wollten einfach nicht mehr in Konflikt mit dem Verbotsgesetz kommen und gleichzeitig anschlussfähiger werden. Ist das weiterhin bemerkbar?

Also bei den Wienern hast Du das hundertprozentig gemerkt. Das sind meistens Burschenschaften, das ist schon sehr eindeutig. Da ist die Tarnung sehr dünn. Und sonst hängt es sehr von der Gruppe ab. Die Schweizer Junge Tat, die kommen ebenfalls aus dem Nazi-Milieu. Bei den Schwaben kommt das Führungspersonal nicht aus dem NS, das sind eher so rassistische Bürgerkinder. Die Sachsen sind dagegen mehr wie der Strasser-Flügel der Nazis und stehen auf Benedikt Kaiser. Also Nazis mit sozialen Forderungen. [Anmerkung Michael Bonvalot: Der Deutsche Kaiser ist ein extrem rechter Autor und Aktivist, der einen Antikapitalismus von Rechts propagiert.]

Aber es gibt auch den bekannten deutschen Aktivisten B., der auf Discord den Nazicode 1488 verwendet. Das ist bekannt und wäre bei den Identitären eigentlich ein Ausschlussgrund. Aber der hat Reichweite, deshalb wird es toleriert. [Anmerkung Michael Bonvalot: „14“ steht für „14 Worte“, ein Bekenntnis zur „Weißen Rasse“, 88 für HH, also Heil Hitler. Der Name ist aus rechtlichen Gründen abgekürzt, Ahrens hatte den vollen Namen genannt.]

Das ist dann aber eigentlich auch sehr divers. Wo ist da die Klammer? Wie schaffen die es, ein einheitliches, ideologisches Fundament zu entwickeln?

Ausländerhass ist das Fundament. Mehr ist da nicht.

Apropos Strasser-Flügel und Kaiser, mir fällt auf, dass die Identitären niemals die soziale Frage ansprechen. Da gibt es eigentlich nur einen alten Tweet von Sellner, wo er über Erbschaftssteuern jammert. Da würde wohl intern einiges aufbrechen, wenn darüber gesprochen würde, immerhin kommen die Leute aus sehr verschiedenen sozialen Milieus.

Wenn mein Vater Arzt ist, bin ich auch gegen Erbschaftssteuer, ne? Es gibt eben auch keine IB-Ideologie, es gibt nur die Weltanschauung von Sellner.

Sellner versucht immer, Konflikte zu vermeiden. Genauso in der Russland-Ukraine-Frage. Er selbst ist meines Erachtens eindeutig Pro-Russland, er weiß aber auch, dass das eine Spaltfrage ist. Er will solche Fragen einfach nicht in der IB haben. Jedes Thema außer Remigration wird hermetisch abgeriegelt.

Ein wenig wird das Thema schon erweitert. So gibt es seit einiger Zeit vermehrt Aktionen der Gruppe gegen Menschen aus der LGBTI+-Community und gegen Pride-Paraden. Mir scheint, das ist alles 1:1 aus dem Playbook der US-amerikanischen Rechten übernommen. Warum machen die das?

Es ist leider ganz einfach: Weil sie Schwule hassen. Und weil sie glauben, damit irgendetwas in der Jugend erreichen zu können.

Warum haben die Identitären in der Pandemie auf Covid-Verschwörungen gesetzt? Haben sie diese Verschwörungserzählungen wirklich geglaubt?

Sellner ist Sohn eines Homöopathen, Homöopathie ist ein Geschäft mit völlig überteuerten Zuckerkugeln. Das sollte eigentlich schon einiges erzählen. Die glauben das wirklich, die sind alle ungeimpft. Die glauben halt, dass die wahre arische Gesundheit aus dem Blut kommt und nicht aus der Impfung. Und Sellner hat eine Fantasiekrankheit, den Bevölkerungsaustausch, und verkauft eine Pseudolösung für seine Fantasiekrankheit.

Identitäre bei einem Corona-Aufmarsch am 08.01.2022 auf der Wiener Ringstraße, vermummt und mit „Knüppelfahnen“. Rechts im Bild mit grauer Jacke und Fahne: Jakob Gunacker, Sprecher von „Die Österreicher“. Im Hintergrund mit Megafon: Martin Sellner. Bild: Michael Bonvalot

Das ist alles auch überhaupt nicht rational. Mal glauben sie, sie haben schon verloren. Jetzt ist Trump an der Macht, jetzt fühlen sie sich wieder auf der Siegerstraße. Alles, was rational ist, wird kritisch beäugt. Deshalb sind sie auch offen für alle möglichen Verschwörungstheorien.

Es gab vor einiger Zeit einen Artikel von Sellner auf der rechten Plattform Sezession, wo er sinngemäß meinte, dass der Kampf eigentlich schon verloren wäre. Die Städte seien verloren, die eigenen Leute sollten in Rückzugsgebiete übersiedeln. In Deutschland in den Osten, in Österreich an die Grenzen zur Slowakei, Tschechien oder Ungarn. Wir kennen das schon von der antisemitischen Anastasia-Sekte, die versuchen in Österreich und Deutschland ja auch den Aufbau völkischer Kommunen. Glaubst Du, ist das ernst gemeint?

Für einzelne ist das sicher eine echte Option. Es gab da sogar Pläne von Leuten aus anderen Ländern, nach Österreich zu ziehen. Das betraf auch den Dänen Emil Kirkegaard, den Chef des rassentheoretischen US-Netzwerks Human Diversity Foundation, mit dem ich auch zusammengearbeitet habe. Da wurde überlegt, nach Österreich zu übersiedeln. In Österreich gibt es gewisse Freiheiten, die Rechte sehr gut finden. Etwa die Möglichkeit, Kinder im Homeschooling zu unterrichten. Oder dass es in Österreich erlaubt ist, ein Gewehr zu besitzen. Das ist für viele Rechte sehr wichtig.

Insgesamt ist das jedenfalls eine gefährliche Entwicklung. Diese Leute sind gefährlich und radikalisieren sich gerade sehr schnell. Bei mir war das ja auch so. Ich wurde vom Identitären zum Nazi, weil ich das konsequenter fand.

Ja, offiziell fehlt den Identitären einfach die völkische Ebene, die aber klarerweise zum Weltbild dazugehört. Real und intern ist es natürlich anders.

Genau. Ich war einfach schneller als andere, aber ich glaube, dass andere diesen Entwicklungsprozess genauso machen werden. Die radikalisieren sich.

Wie können wir uns das vorstellen? Kampfsport wird ja ganz offiziell hochgehalten und es gibt auch immer wieder Fälle von Terrorismus rund um die Gruppe. Eigentlich ist es sogar der Gründungsmythos der Gruppe: Die französische Gruppe wurde ja offiziell gegründet, nachdem ihre Vorgängerin verboten wurde – weil einer der Anhänger ein Attentat auf den damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac versucht hatte.

Ich glaube, wir dürfen uns das nicht so vorstellen, dass es jetzt eine Individualradikalisierung oder einen Individualterrorismus gibt. Ich glaube nicht, dass da jetzt einer aus der Reihe scheren wird und einzeln terroristische Akte begehen wird. Bei mir gab es eine Individualradikalisierung zum Nationalsozialismus, deswegen hat man sich von mir distanziert. Aber die radikalisieren sich als Kollektiv.

Wie findest Du die Medienberichterstattung über die Identitären? Ich glaube, dass sehr viele Journalist:innen oft sehr uninformiert berichten. Sie übernehmen dann die Talking Points der Identitären, ihre Bildsprache und ihre Inhalte. Das halte ich für extrem problematisch.

Das sehe ich genauso. Viele Journalisten versuchen, aufzuspringen und irgendeinen Enthüllungsjournalismus für Klicks zu machen. Aber so funktioniert das nicht. Das ist Kleinarbeit, das braucht Zeit und Recherche-Journalismus müsste auch staatlich finanziert sein.

Es sollte nicht über ihre Aktionen berichtet werden, sondern über die Aktionen, die schief laufen. Genau wie Du das in München gemacht hat. Und auch über die Typen dahinter. Bei mir hat die Fremdwahrnehmung übrigens auch dazu geführt, dass ich mich dann selbst anders gesehen habe. So, wie sieht mich die Masse eigentlich und was denken die über meinen Rassismus? Wenn Du denen Reichweite gibst, dann entlarven sie sich auch.

Das sehe ich anders. Das kann schon funktionieren, wenn jemand rhetorisch völlig unbegabt ist. Aber wenn es geschulte Leute sind, halte ich das für extrem problematisch.

Aber die Leute sind dann geoutet und müssen sich dafür auch im Alltag rechtfertigen. Bei mir hat das einiges bewirkt und ausgelöst.

Wie sehr fühlen sich die Identitären eigentlich von journalistischen oder antifaschistischen Recherchen gestört?

Das finden die extrem nervig. Vor allem, wenn es zu Problemen am Arbeitsplatz führt. Aber manche Antifa-Gruppen glauben, dass sie mit einem Outing den entscheidenden Schlag gesetzt haben und das jetzt alles erledigt ist. Doch man muss das unaufgeregter machen, man muss ihnen über die Jahre immer und immer wieder auf die Nerven gehen und sie so klein halten.

Interessiert mich jetzt natürlich persönlich: Finden die Identitären meine Arbeit und meine Recherchen nervig?

Klar! Ich habe Dich ja dadurch gekannt. Ich habe Dich gekannt, weil Sellner kaum einen Monat auskam, ohne über Dich zu reden. Natürlich zieht er über Dich her. Er wird niemals positiv über seine Gegner reden. Aber dadurch spielst Du eine Rolle in seinem Leben. Du bist bei denen in den Köpfen. Das wollen sie eigentlich nicht, wenn sie rational darüber nachdenken. Aber Du bist da.

Und was ist aus Deiner Sicht das Ziel, wenn Identitäre vermeintliche Gegner:innen öffentlich vorführen?

Einerseits brauchen sie Feinde. Sonst funktioniert ihr Konzept nicht. Gleichzeitig würden diese Leute natürlich nie öffentlich sagen, dass jemand Dich attackieren soll. Aber wenn etwas passiert, werden sie sicherlich nicht traurig sein. Sie hetzen die Stimmung auf. Genau das wird aktuell auch bei mir gemacht.

Einige schweigen mich tot. Kubitschek etwa hat sofort alle meine Artikel und Vorträge runtergenommen, bei Sellner findest Du meinen Namen nicht mehr. Aber andere beginnen zu hetzen. Und intern ist klar, dass sie mich hassen.

Abschließend: Wie geht es Dir?

Ich bin auf der Flucht. Viele Leute würden mich aktuell am liebsten tot sehen. Aber die werden mich nicht finden. Was ich politisch längerfristig mache, weiß ich noch nicht. Aber jetzt kämpfe ich vor allem für ein Verbot der extremen Rechten.

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