Bei der Propaganda gegen das Gendern sind sich alle Rechten in Österreich und Deutschland einig – von den Konservativen bis zu den Faschist:innen. Was ist da los?
Ohne irgendeinen erkennbaren Anlass startet die ÖVP Anfang 2024 eine Debatte über das Gendern. Rund um seine Wahlkampfrede „Österreich-Plan“ attackiert der damalige Bundeskanzler Karl Nehammer auch die geschlechtergerechte Sprache. Ziel der ÖVP laut ihrem „Österreich-Plan“: Die „Abschaffung“ der Verwendung von Binnen-I, dem Sternchen oder dem Doppelpunkt als Möglichkeiten zum Gendern. Wenige Wochen schiebt die ÖVP weiter nach.
Dieser Artikel wurde zuletzt im August 2025 umfassend aktualisiert.
Im Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz solle künftig nicht mehr gegendert werden. Verkündet wird das ironischerweise von Susanne Raab, zu diesem Zeitpunkt ÖVP-Frauenministerin. In Niederösterreich gibt die ÖVP-FPÖ-Koalition bereits seit 2023 ähnliche Regeln vor. Und in der Steiermark, wo die FPÖ eine blau-schwarze Regierung führt, wird im Juni 2025 das Gendern in Gesetzen abgeschafft. In Deutschland laufen parallel ganz ähnliche Kampagnen.
In Sachsen gibt es sogar schlechtere Noten für geschlechtergerechte Sprache
So verkündet Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder im März 2024: „Bayern verbietet das Gendern an Schulen, Hochschulen und Behörden.“ Im August desselben Jahren gibt das sächsische Kultusministerium bekannt, dass Schüler:innen künftig schlechtere Noten bekommen, wenn sie in schriftlichen Arbeiten gendern. Geschlechtergerechte Sprache wird nun als Fehler gewertet.

Bild: Michael Bonvalot
Im Juli 2025 behauptet das sächsische Kultusministerium, das Verbot diene der „sprachlichen Klarheit“. Inwiefern es der „Klarheit“ dient, korrektes Gendern als Fehler zu bewerten, verrät Sachsens CDU-Kultusminister Conrad Clemens der Öffentichkeit leider nicht. Bereits davor wurde die geschlechtergerechte Sprache in Sachsen für Ämter, Verwaltungen, Projektpartner und Lehrkräfte verboten.
Im März 2025 legt Sachsen dann nochmals nach und schafft das Gendern auch in Gesetzen ab. In Sachsen regiert seit der deutschen Wiedervereinigung durchgehend die CDU, aktuell ist die SPD Juniorpartnerin. In Hessen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein gibt es inzwischen ebenfalls Vorschriften gegen die geschlechtergerechte Sprache.
Nun attackiert die CDU auch noch den öffentlichen Rundfunk und die Museen
Auch in diesen Ländern stellt die CDU den Ministerpräsidenten – die in verschiedenen Ländern mitregierenden Sozialdemokrat:innen und Grünen spielen mit. Im August 2025 bläst Deutschlands Kulturstaatsminister Wolfram Weimer dann auch deutschlandweit endgültig zum rechten Angriff. Der ehemalige Journalist Weimer sitzt auf einem Ticket der CDU in der deutschen Bundesregierung.
Die rechten Verbotsparteien wollen den Menschen jetzt auch noch befehlen, wie sie schreiben dürfen. pic.twitter.com/eovgQCyn8a
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) March 20, 2024
Erst hatte Weimer ein Genderverbot in der eigenen Behörde verhängt. Und nun fordert der bekannte Rechtskonservative auch alle öffentlich geförderten Institutionen auf, seiner Linie zu folgen. Das betrifft etwa Museen, Stiftungen und vor allem den öffentlichen Rundfunk.
Es ist eine eindeutige Drohung: Solche „Wünsche“ können bei Budgetverhandlungen sehr schnell zu realem politischen Druck werden. Dazu können solche „Wünsche“ auch zu vorsorglichen Zensur-Scheren in den Köpfen der betroffenen Institutionen führen. Wir sehen aktuell in den USA in Echtzeit, wie schnell das gehen kann.
Eine vereinte rechte Front
Die konservativen Rechten sind beim Thema Gendern auf einer Linie mit der extremen Rechten. In Österreich ist die FPÖ ohnehin mittendrin statt nur dabei: Sie sitzt mit der ÖVP inzwischen in fünf von neun Landesregierungen und stellt in der Steiermark sogar den Landeshauptmann. In Deutschland klatscht die AfD derweil von der Oppositionsbank Applaus. Und auch Neofaschist:innen und Neonazis sind happy.
Denn für die äußerste Rechte sind die Kampagnen der rechten Regierungsparteien ein willkommener Durchlauferhitzer. Selbst könnten sie keine Themen setzen, dazu sind sie zu unbedeutend. Doch sie können auf den fahrenden Zug aufspringen und für ihre Zwecke nützen. So hetzen die Gruppe Identitäre in Österreich und Deutschland sowie die mit ihr verbundene Schweizer „Junge Tat“ laufend gegen „Gender-Gaga“ oder „Gender-Wahnsinn“. Damit verwenden sie übrigens die gleichen Begriffe, die auch aus ÖVP und Union zu hören sind. Die rechte Welt ist klein.
Extreme Rechte haben versucht, mit einem Banner die Pride in Klagenfurt zu stören. Das ging so richtig in die Hose. 🤡 pic.twitter.com/CvxFvRmoRE
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) May 31, 2025
Dazu organisieren faschistische Gruppen inzwischen regelmäßig Störaktionen gegen Pride-Paraden – die allerdings immer wieder gehörig in die Hose gehen. Und für die deutsche Nazi-Szene sind Aufmärsche gegen Pride-Parade seit 2023 sogar zu einem der wichtigsten Mobilisierungsthemen überhaupt geworden. Die rechten Regierungsparteien sind ihre Stichwortgeber.
Die Rechten führen einen ideologischen Feldzug
Die Kampagnen dieser Regierungsparteien laufen dabei immer wieder nach einem ähnlichen Muster. So behauptet CDU-Kulturminister Weimer, dass das Gendern angeblich im Sinne „allgemeiner Verständlichkeit“ abgeschafft würde. Ein Armutszeugnis: Denn damit sagt der CDU-Mann real, dass er seine Basis für zu dumm hält, um Doppelpunkt, Sternchen oder Binnen-I zu verstehen.
Wähler:innen, Wähler*innen oder WählerInnen – eigentlich gar nicht so schwer, oder? Und der steirische FPÖ-Landeshauptmann Mario Kunasek lehnt Gendern mit dem Verweis auf einen angeblichen „Hausverstand“ ab. Exakt mit der Parole „Hausverstand“ geht auch die ÖVP regelmäßig hausieren. Dabei würde eigentlich gerade der „Hausverstand“ erklären, dass alle Menschen in der Sprache sichtbar sein sollten.
Dass es den Rechten um viel mehr geht als um geschlechtergerechte Sprache, zeigen die jeweils mitgelieferten Erklärungen: Im ÖVP-FPÖ-Koalitionsvertrag in Niederösterreich heißt es erst: Es brauche „klare Regeln, was die Verwendung der deutschen Sprache betrifft“. Warum eine einheitliche Gender-Vorgabe nicht genauso eine „klare Regel“ ist, bleibt das Geheimnis von ÖVP und FPÖ. Verpackt ist das Gender-Verbot im niederösterreichischen Koalitionsvertrag übrigens im Kapitel „Integration“ – es ist möglicherweise als zusätzliche Verhöhnung gedacht.
Doch was ÖVP und FPÖ in Niederösterreich tatsächlich stört: Angeblich würde das Gendern zu einem „ideologisierten und unsachgemäßen Gebrauch“ der deutschen Sprache führen. Und genau diese Linie findet sich immer wieder. So ist auch im Österreich-Plan der ÖVP von einem angeblichen „Hype um Gender-Themen und -Ideologien“ die Rede.
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Ähnlich klingt es in Deutschland oder auch den USA, wo die extrem rechte Trump-Administration den Kampf gegen „Diversity“-Programme ins Zentrum ihrer Propaganda rückt. Den Rechten geht es also um viel mehr: Sie nützten Attacken gegen das Gendern als Einfallswinkel für rechte Ideologien.
Was die Rechten wirklich stört: Die Geschlechterdebatte
Denn die geschlechtergerechte Sprache ist für die Rechten vor allem ein Symbol. Worum es ihnen tatsächlich geht: Gleiche Rechte für gleichgeschlechtlich liebende Menschen sind ihnen ebenso zuwider wie die die Sichtbarkeit von trans*identen Personen. Da ist sich die gesamte Rechte einig, von den Konservativen über AfD und FPÖ bis zu Faschist:innen und Nazis. Die geschlechtergerechte Sprache wird damit zum Symbol für den vereinten rechten Kulturkampf.
Und dieser antifeministische Kampf geht weit über das Gendern hinaus: Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, genügend Kindergartenplätze oder Möglichkeiten, trotz Kind weiter zu arbeiten – all das steht zur Debatte. Dazu versuchen konservative und extreme Rechte mit dem Thema Gendern auch, im jeweils anderen Wähler:innenteich zu fischen. Motto: Wer kann reaktionärer sein? Ideologische Unterschiede zwischen den beiden Parteifamilien sind in Österreich und Deutschland ohnehin immer weniger wahrnehmbar.
Und schließlich sind konservative wie extreme Rechte strikt neoliberal – sobald sie an der Macht sind, beginnt der Sozialabbau. Und mit abstrusen Kulturkämpfen können Neoliberale perfekt von viel zu niedrigen Löhnen, viel zu hohen Lebensmittelpreisen oder kaum mehr bezahlbaren Mieten ablenken.
Wie politisch darf und muss die Sprache sein?
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Es gibt immer noch viele Menschen, die geschlechtergerechte Sprache ablehnen. Einige haben ideologische Gründe und folgen damit der Propaganda der Rechten. Andere finden die verschiedenen Formen einfach zu kompliziert. Und wieder andere verstehen nicht, warum sich die Sprache überhaupt ändern solle. „Das war doch schon immer so“, heißt es dann. Warum müsse die Sprache jetzt auf einmal politisiert werden?
Tatsächlich aber hat sich Sprache schon immer verändert. Dafür gibt es unzählige Beispiele – sogar aus unerwarteter Richtung: So hieß es etwa früher in den Zehn Geboten der katholischen Kirche, dass das „Weib“ des „Nächsten“ nicht begehrt werden solle. Inzwischen ist in der Einheitsübersetzung der Bibel an dieser Stelle von „Frau“ die Rede, nicht mehr von „Weib“. Sogar die berüchtigt frauenfeindliche katholische Kirche hat ihre Sprache also an gesellschaftliche Veränderungen angepasst.

Bild: Michael Bonvalot
Dazu kommt: Die Verwendung ausschließlich männlicher Formen ist offensichtlich genauso eine bewusste Entscheidung. Und die Politik in der Sprache? Tatsächlich bildet Sprache vor allem gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen ab. Sie kann davon klarerweise gar nicht unabhängig sein. Politisch ist die Sprache also in jedem Fall. Die Frage ist nur, wie die politische Entscheidung ausfällt.
Wie sexistisch ist die deutsche Sprache?
Die deutsche Sprache ist enorm männlich geprägt, das lernen schon Kinder: Es gibt Schüler, Lehrer, Direktoren. Lange hieß es, Frauen seien eben mitgemeint. Das allein ist bereits offensichtlich sexistisch. Doch dazu kommt: So funktioniert das menschliche Gehirn nicht. Tatsächlich werden Frauen so nicht einmal „mitgemeint“. Sondern ausgelöscht.
Es reicht ein einfacher Test in einer größeren Runde: Fragen Sie die eine Hälfte der Anwesenden nach den Lieblingsschauspielern. Und die andere Hälfte nach den Lieblingsschauspieler:innen. Es wird Ausnahmen bei einzelnen Tests geben, doch in der Tendenz wird sich schnell zeigen: Das Mitdenken funktioniert einfach nicht. Wenn Frauen und Nicht-binäre Menschen in der Frage explizit genannt werden, werden sie öfter in den Antworten vorkommen.
Lebensentwürfe sichtbar und denkbar machen
Und das hat reale Konsequenzen: Als Sozialarbeiter habe ich über Jahre Berufsorientierung mit Jugendlichen gemacht. Und dabei macht es einen enormen Unterschied, wie die Berufe präsentiert werden. Wenn Jugendliche hören, dass sie Tischlerinnen und Tischler werden können, Installateurinnen und Installateure oder Kfz-Mechanikerinnen und Kfz-Mechaniker, dann hat das vor allem für die Mädchen ganz praktische Konsequenzen.
Es eröffnet Möglichkeiten im Kopf. Doch auch die Buben profitieren: Auch sie sind dann nicht mehr auf typisch männliche Berufe festgelegt. Denn es gibt natürlich auch Friseurinnen und Friseure und Kosmetikerinnen und Kosmetiker.
Löst das Gendern alle gesellschaftlichen Probleme?
Als erste Lösung zur Sichtbarkeit von Frauen in der Sprache entstand das sogenannte Binnen-I. Also: SchülerInnen, LehrerInnen, usw. Doch hier kam schnell Kritik auf: Wo sind Nicht-binäre Menschen? Später kamen daher das Sternchen und der Doppelpunkt dazu, also Schüler*innen oder Lehrer:innen. Manche schreiben auch Direktor_innen mit einem Unterstrich. Mit all diesen Formen soll symbolisiert werden, dass sich nicht alle Menschen in den zwei Geschlechtern wiederfinden.

Bild: Michael Bonvalot
Welche Form sich letztlich durchsetzen wird, ist heute noch unklar, es wird vermutlich der Doppelpunkt werden. Auch auf standpunkt.press wird der Doppelpunkt verwendet. Doch lösen solche Änderungen gesellschaftliche Probleme?
Tatsächlich bekommt keine Frau den gleichen Lohn, weil in der Personalabteilung geschlechtergerecht formuliert wird. Und keine trans*idente Person wird beim Bewerbungsgespräch weniger diskriminiert, weil in der Firma ein Doppelpunkt verwendet wird. Doch das Argument, dass eine Maßnahme alleine nichts bewegt, könnte auch für viele andere Bereiche gebracht werden. Und vor allem: Ist es nicht bereits für sich enorm wertvoll, wenn Menschen sich endlich gesehen fühlen können?
Achtsamkeit statt Verbote
Es gibt schlicht keinen Grund für einen empörten Kulturkampf rund um die geschlechtergerechte Sprache. Stattdessen: Ein wenig mehr Gelassenheit, ein wenig mehr Achtsamkeit. Ein Doppelpunkt tut niemandem weh, doch er macht viele Menschen sichtbar und stärkt sie damit. Und das sollte eigentlich bereits reichen. Die einzigen, die das offenbar anders sehen, sind die verschiedenen rechten Fraktionen.
Das hat übrigens auch eine gewisse Ironie: Rechte wettern so gerne über angebliche linke Unterdrückung, es dürfe angeblich „nichts mehr gesagt werden“. Dabei sind die Fakten eindeutig: Es sind die Rechten, die mit Kulturkämpfen, Verboten und Zensur die Selbstbestimmung von Menschen angreifen, sobald sie an der Macht sind.
Dieser Artikel erschien erstmals am 22. März 2024 und wurde zuletzt am 10. August 2025 umfassend aktualisiert.
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