Rechte und Medien drehen durch, weil ein österreichisches Gericht angeblich „die Scharia“ anerkannt habe. Völliger Unsinn. Worum geht es tatsächlich? Eine Einordnung!

Bereits im Juni 2025 hat das Landesgericht für Strafsachen Wien in einem Streit zwischen zwei Vertragspartnern eine Entscheidung getroffen. Die Entscheidung wurde am 26. Juni auch publiziert. In diesem Urteil stand nichts wahnsinnig Spektakuläres und es fiel auch niemandem weiter auf. Doch dann veröffentlichte die konservative Presse am 18. August einen kurzen Artikel dazu [Paywall].

Titelbild: Michael Bonvalot

Auch hier noch nichts Besonderes: Der Autor des Artikels, Philipp Aichinger, veröffentlicht in der Presse regelmäßig Artikel zu juristischen Fragen. Und der Artikel beschreibt das Urteil sehr nüchtern. Doch dann drehen einige Medien auf!

Rechte und Medien toben

„Gehört nicht her“ – Schiedsspruch nach Scharia – Wiener Urteil empört“, titelt etwa die Krone. „Hammer-Urteil! Die Scharia gilt auch in Österreich“, heißt es bei Heute. Und Ö24 behauptet einen „Wirbel nach Scharia-Urteil“. Auch ÖVP und FPÖ springen sofort auf den Zug auf und fordern, dass solch vermeintlich dramatische Zustände künftig verhindert werden müssten.

Die ÖVP etwa wolle „der Anwendung von Scharia-Regeln in Österreich dauerhaft einen Riegel vorschieben“, so ÖVP-Generalsekretär Nico Marchetti. Doch sehen wir uns vor der Empörungsmaschine doch einmal an, worum es wirklich geht! Zwei Personen hatten einen Vertrag abgeschlossen und dabei festgelegt, dass bei Streitigkeiten kein staatliches Schiedsgericht entscheiden solle, sondern ein privates.

Das ist in Österreich ein absolut üblicher Vorgang. So wird etwa auf der Informationsseite der österreichischen Justiz darauf hingewiesen, dass private Schiedsgerichte „vor allem im Handelsverkehr größere Bedeutung“ hätten.

Es geht schlicht um eine private Streitbeilegung

Der rechtskundige Journalist Jakob Pflügl weist darauf hin, dass Vertragspartner:innen auch frei entscheiden können, welche Rechtsordnung das private Schiedsgericht anwenden soll. Logische Ausnahme: Das Urteil des Schiedsgerichts darf österreichischen Grundwerten nicht widersprechen und es darf nicht willkürlich handeln. Die beiden Personen in diesem konkreten Fall entschieden sich also, islamische Rechtsvorschriften und ein islamisches Schiedsgericht für eine mögliche Streitbeilegung festzulegen. Ein absolut legitimer Vorgang.

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Medien verkürzen das nun auf „die Scharia“ und beschwören damit ganz bewusst Ängste vor dem religiösen Fundamentalismus. Tatsächlich ist die Scharia nichts anderes als die gesamte islamische Rechtsordnung – und die ist in sich sehr vielfältig und wird in verschiedenen Ländern auch sehr unterschiedlich ausgelegt.

Die beiden Vertragspartner in unserem konkreten Fall haben in weiterer Folge allerdings eine Auseinandersetzung über den Vertragsinhalt. Der Fall geht also, wie vereinbart, an das private Schiedsgericht. Doch als das private Schiedsgericht für Person A entscheidet, wendet sich Person B an die Justiz. Obwohl davor festgelegt worden war, dass das Schiedsgericht in solchen Fällen entscheiden solle.

Was das Gericht tatsächlich entschieden hat

Und nun hat das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien entschieden, dass dieses private Schiedsgerichtsverfahren gültig ist (das Urteil könnt ihr hier nachlesen). Immerhin hatten sich auch beide Vertragspartner zuvor auf dieses Verfahren geeinigt. Und zusätzlich stellt das Gericht fest, dass der Schiedsspruch auch völlig korrekt zustande gekommen wäre.

Der Wiener Justizpalast. Bild: Michael Bonvalot

Im Urteil des Landesgericht heißt es dazu wörtlich: „Der Schiedsrichter führte ein Verfahren unter Beteiligung der Parteien durch, erhob Beweise und traf im Schiedsspruch nachvollziehbare und begründete Feststellungen. Weder aus der rechtlichen Beurteilung noch aus den übrigen Ausführungen ergeben sich Anhaltspunkte für eine willkürliche Entscheidung. Selbst der Rekurswerber kann keine konkreten Verstöße anführen.“

Zusammengefasst: Nein, es hat kein österreichisches Gericht „die Scharia anerkannt“. Sondern ein österreichisches Gericht hat festgestellt, dass ein privates Schiedsgericht nachvollziehbar entschieden hat. Und das ist ein ganz normaler Vorgang. Also: Bitte beruhigen, liebe Berufsempörte.

Ergänzt um Hinweise zu Schiedsgerichten auf der Seite der österreichischen Justiz

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