Trump ist kein strahlender Sieger: Tatsächlich hat er die Wahl nur extrem knapp gewonnen. Das zeigen die endgültigen Wahlergebnisse. Doch wie konnte Harris diese Wahl verlieren?
Der extrem rechte Millionär Donald Trump wird der 47. Präsident der Vereinigten Staaten. Laut den offiziellen Zahlen der US-Wahlkommission entfielen auf Trump 77.302.580 Stimmen. Das sind nur 49,8 Prozent: Trump hat im November 2024 also nicht einmal die absolute Mehrheit geschafft.
Titelbild: Marc Nozell, CC BY 2.0
Zum Vergleich: Seine demokratische Gegenkandidatin Kamala Harris erhielt 75.017.613 Stimmen, das sind 48,32 Prozent. Insgesamt wurden 155.238.302 Stimmen abgegeben. Der Rest ging an weitere Kandidat:innen – und eine Stichwahl der zwei Bestplatzierten ist im US-Wahlsystem nicht vorgesehen.
Das Ergebnis war arschknapp
Viele Medien sprachen nach Trumps Wahlerfolg von einem Durchmarsch der rechten Republikaner. Das ist offensichtlich falsch. Tatsächlich war das Rennen haarscharf: Trump hat mit gerade einmal rund 1,5 Prozent Unterschied gewonnen.
Trotz des enorm knappen Ergebnisses hat Trump im entscheidenden „Wahlmännerkollegium“ (englisch: „Electoral college“) 312 Stimmen, Harris nur 226. Das sagt allerdings tatsächlich weit mehr über das absurd verzerrende und undemokratische US-Wahlsystem aus als über die Wahlergebnisse. Denn tatsächlich entscheiden in den USA real nur die Stimmen aus einigen wenigen umkämpften Bundesstaaten („Swing States“) über Sieg oder Niederlage.
Die echten Wahlergebnisse zählen nicht
Wie wenig die Stimmen der Bevölkerung aus vielen US-Bundesstaaten zählen, zeigt auch der völlig unübersichtliche Auszählungsprozess. So ist zwar meist schon kurz nach der Wahl klar, wer die meisten Wahlmänner/frauen und damit das Präsidentenamt gewonnen hat. Doch die Bekanntgabe der tatsächlichen Stimmverteilung („Popular vote“) dauert üblicherweise etliche Wochen.
Und sogar am Tag der Inauguration von Trump, dem 20. Jänner 2025, gibt es noch unterschiedliche Angaben zu den tatsächlichen Stimmenverhältnissen. So veröffentlichen etwa der Sender CNN und die Nachrichtenagentur AP Zahlen, die sich sowohl vom amtlichen Endergebnis wie voneinander leicht unterscheiden. Das ist nicht gut.
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Die Unterschiede der drei Ergebnisse sind zwar marginal, es geht um insgesamt rund 3000 Stimmen. Beachtlich ist es dennoch, dass das möglich ist. In weiterer Folge bleibe ich für diesen Artikel übrigens immer beim amtlichen Ergebnis, so wird auch die Vergleichbarkeit zu früheren Wahlergebnissen möglich.
Die Demokraten verlieren vor allem an die Enttäuschung
Sehen wir uns nun die letzten Präsidentschaftswahlen im November 2020 an! Damals erhielt der Demokrat Joe Biden laut amtlichem Endergebnis 81.238.501 Stimmen. Biden hatte somit im Jahr 2020 auch eine tatsächliche absolute Mehrheit von 51,31 Prozent erreicht – im Gegensatz zu Trump 2024. Der erhielt 2020 noch 74.223.975 Stimmen oder 46,85 Prozent. Insgesamt wurden 158.429.631 Stimmen abgegeben. Und in diesen Zahlen steckt Dynamit.
Denn das zeigt: 2020 gingen noch über drei Millionen Menschen mehr zur Wahl als 2024. Trotz in den USA leicht steigender Bevölkerung. Viele potentielle Wähler:innen sind offensichtlich schlicht zu Hause geblieben sein. Und es traf vor allem die Demokraten.
Tatsächlich haben die Demokraten 2024 über sechs Millionen Stimmen weniger erhalten als 2020. Ein gigantischer Verlust. Trump dagegen konnte 2024 nochmals dazu gewinnen, allerdings „nur“ rund drei Millionen Stimmen. Was wir also sehen können: Trump gewinnt zwar durchaus relevant, vor allem aber verlieren die Demokraten massiv Stimmen. Ein Teil geht wohl an Trump, doch ein anderer – und wohl ebenso großer Teil – geht schlicht nicht zur Wahl.
Wie konnte Harris diese Wahl verlieren?
Offensichtlich ist: Trump kann mobilisieren. So erhielt Trump 2024 beachtliche 14 Millionen Stimmen mehr als 2016, wo er erstmals Präsident wurde. Er bringt also immer mehr rechte Wähler:innen an die Urne. Doch auch das hätte wohl nicht gereicht, wenn die Demokraten alle Wähler:innen mobilisiert hätten, die 2020 noch für Biden gestimmt hatten und diesmal nicht wählen gingen.
Warum das nicht gelungen ist und warum Harris verloren hat, dafür gibt es naturgemäß nicht nur einen Grund. Für unterschiedliche Wähler:innen sind immer unterschiedliche Gründe entscheidend. Doch einige Motive sind offensichtlich.
Lahme Regierung
Die Biden-Administration konnte für viele Menschen nicht „den Unterschied“ in ihrem persönlichen Leben machen. Das zeigte sich etwa bei den rasant steigenden Lebensmittelpreisen, die für immer mehr Menschen zum existenziellen Problem werden. Die Demokraten hatten hier außer Allgemeinplätzen kaum etwas anzubieten.
"Stolz, Müll zu sein" – USA 2024: Wenn Du nicht mehr weißt, ob das Satire ist oder real. pic.twitter.com/r2YW5MPqga
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) November 5, 2024
Und Harris war immerhin die Vizepräsidentin unter Joe Biden. Gleichzeitig hatte sie als Vize kaum Chancen, sich selbst zu profilieren – und stieg dazu erst nach dem Rückzug von Biden und damit wenige Monate vor der Wahl ins Rennen ein. Ihre Kampagne dauerte gerade einmal 107 Tage.
Harris ist eine Frau aus einer Minderheit
Dazu gibt es einen weiteren Aspekt: Es scheint, als wären einige demokratische Wähler:innen nicht bereit gewesen, eine Frau mit dunkler Hautfarbe ins Präsidentenamt zu wählen. „Die Vorstellung von Frauen in Führungspositionen ist für viele immer noch unvorstellbar“, sagte nach der Niederlage von Harris etwa Shavon Arline-Bradley, Präsidentin und Geschäftsführerin des National Council of Negro Women (NCNW), zum Guardian.
Und es gebe eine „Mauer aus weißem Nationalismus und Rassismus und Klassismus und Sexismus und Frauenfeindlichkeit“. Ein Befund, der zweifellos richtig ist. Doch es gibt sicherlich noch andere (und teils gegenläufige) Aspekte, die Menschen von der Wahlurne fernhielten oder gar zur Stimmabgabe von Demokraten für Trump führte.
Dem Rassismus nachlaufen
Der extrem rechte Trump hatte eine durchgehende Pseudo-Erklärung zu den sozialen Problemen: An allem wäre Menschen mit Migrationshintergrund schuld. Dazu verbreitete Trump laufend neue und irre Verschwörungserzählungen. Natürlich Unsinn, doch zumindest eine konsequente Story. Dem hatte die Biden/Harris-Regierung nicht nur nichts entgegenzusetzen. Im Gegenteil, sie spielte beim Rassismus auch noch mit.
So veröffentlichte das Weiße Haus etwa im Juni 2024 eine Stellungnahme zum Thema Migration, die mit den Worten beginnt: „Seit seinem ersten Tag im Amt hat Präsident Biden den Kongress aufgefordert, unsere Grenze zu sichern und unser kaputtes Einwanderungssystem anzugehen.“ Das könnte wortwörtlich auch von Trump stammen.
Im Text werden dann einerseits einige Erleichterungen für Menschen mit Migrationsbiografie verkündet, andererseits wird Härte demonstriert. Doch wenn die Rhetorik der Rechten übernommen wird, dann wird die Rechte auch für jene wählbar, die eventuell noch schwanken.
Harris arbeitete als Staatsanwältin gegen Menschen aus Minderheiten
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Dazu war auch Kandidatin Harris kein Versprechen für Menschen aus Minderheiten – obwohl sie selbst indische und jamaikanische Wurzeln hat. Ihre ersten politischen Ämter übernahm Harris in ihrem Heimatstaat Kalifornien: Ab 2004 als Bezirksstaatsanwältin in San Francisco und danach ab 2011 als „Attorney General“ von Kalifornien – eine Mischung aus Justizministerin und Generalstaatsanwältin. Und in dieser Zeit galt Harris als Law-and-Order-Vertreterin.
So setzte sie sich etwa über ihre gesamte frühe Karriere für ein Gesetz in Kalifornien ein, wonach Eltern hart sanktioniert werden können, wenn ihre Kinder nicht zur Schule gehen. Eltern konnten dadurch mit einer Geldstrafe von bis zu 2.000 Dollar, bis zu einem Jahr Gefängnis oder beidem bestraft werden.
Erst Jahre später distanzierte sich Harris von diesem Gesetz, das massiv arme Menschen und Menschen aus Minderheiten traf. Denn die werden von US-Gerichten üblicherweise besonders hart verurteilt und können oft auch nicht das Geld für eine Kaution stellen und müssen deshalb ins Gefängnis.
2019 bekannte Harris schließlich: „Ich bedauere, dass ich jetzt Geschichten gehört habe, in denen Staatsanwälte in einigen Gerichtsbarkeiten die Eltern kriminalisiert haben. Und ich bedauere, dass das passiert ist“. Diese Entschuldigung kam allerdings erst während ihrer Bewerbung um die demokratische Nominierung zum Präsidentschaftswahlkampf 2020. Dazu war es auch schlicht nicht glaubwürdig, dass die ehemalige kalifornische Justizministerin die Folgen ihres eigenen Gesetzes nicht gekannt haben wollte. Und Menschen aus Minderheiten vergessen nicht, wer sie attackiert.
Beide Lager gewinnen massiv Stimmen dazu
Gleichzeitig müssen die Ergebnisse von 2024 aber auch eingeordnet werden. Denn Harris hatte trotz aller Probleme in absoluten Zahlen tatsächlich das zweitbeste Ergebnis, das jemals ein/e demokratische/r Kandidat:in hatte. Nur Joe Biden war 2020 noch besser.

Aufmarsch von Trump-Anhänger:innen vor dem Kapitol in Washington D.C. Bild: Michael Bonvalot
Medial wird gerne die These bemüht, dass große Teile der klassischen Arbeiter:innenbasis der Demokraten zu Trump übergelaufen wären. Doch die Zahlen geben diese Behauptung in der Form einfach nicht her. Denn tatsächlich gewinnen die Demokraten in den vergangenen Jahren sogar laufend Stimmen dazu.
Nun wächst zwar die Bevölkerung, dennoch zeigt sich ein recht eindeutiger Trend: Beide Lager mobilisierten bei den letzten beiden Wahlen signifikant stärker als noch beim ersten Antreten von Donald Trump. Der wurde 2016 zwar Präsident, doch laut amtlichem Wahlergebnis bekam er in absoluten Zahlen nur 62.984.828 Stimmen. Trump hatte damit 2016 noch 14 Millionen Stimmen weniger als 2024.
Und wie war das mit dem demokratischen Heilsbringer Obama?
Dabei war die Wahl 2016 sogar besonders absurd. Trump erhielt nur 46,09 Prozent, die demokratische Kandidatin Hillary Clinton kam dagegen auf 48,18 Prozent. In absoluten Zahlen stimmten 65.853.514 für Clinton – damit bekam sie eigentlich rund drei Millionen Stimmen mehr als der rechte Multimillionär. Obwohl er also tatsächlich verloren hatte, wurde Trump Präsident (was erneut zeigt, wie kaputt das US-Wahlsystem ist). Eine herbe Niederlage.
Besonders gerne erinnern sich US-Demokraten dagegen an die zwei Amtszeiten von Barack Obama. Er galt (und gilt immer noch) als eine Art Heilsbringer der Demokratischen Partei. Doch auch seine Ergebnisse liegen im Trend dieser Jahre und sind kaum außergewöhnlich: Seine zweite Amtszeit hatte Obama 2012 laut amtlichem Endergebnis mit 65,915,795 Stimmen gewonnen (51.06 Prozent), sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney kam auf 60,933,504 (47,2 Prozent). Auch hier also: Viel weniger Stimmen als 2020 und 2024.
Deutlich steigende Wahlbeteiligung zeigt die Politisierung
Dass die Mobilisierung beider Lager gestiegen ist, zeigt auch die Wahlbeteiligung. Die Universität Florida stellt dazu Zahlen zur Verfügung und die zeigen: Während die Wahlbeteiligung beim Sieg von Obama 2012 nur bei 58,6 Prozent lag, stieg sie zur Präsidentschaftswahl 2020 bereits auf 66,4 Prozent. Das ist eine beachtliche Steigerung.
Bei der letzten Wahl sank die Wahlbeteiligung dagegen laut Universität Florida dann wieder auf 63,88 Prozent. Das ist zwar noch kein endgültiges Ergebnis, aber diese Zahlen sind schon ziemlich genau. Auch das bestätigt also: Viele bleiben 2024 einfach zu Hause. Die insgesamt steigende Wahlbeteiligung ist dabei auch ein Hinweis auf die Politisierung und Polarisierung in den USA.
Massive Polarisierung in den USA
Früher ging es bei US-Wahlen um weniger: Beide großen Parteien gelten (durchaus zurecht) als Parteien des großen Kapitals. Ob nun der eine Kapital-Vertreter an der Macht ist oder der andere, das macht für viele Menschen wenig Unterschied. Doch die Positionen von Trump haben offenbar viele Menschen in den USA neu politisiert. Entweder, weil sie seine extrem rechten Ansichten gut finden. Oder weil sie sie ablehnen.
Trump ist dabei im Aufwind: 2016 bekam er rund 62,9 Millionen Stimmen. 2020 waren es 74,2 Millionen. Und 2024 wählten ihn schon 77,3 Millionen. Schon nach der Wahl 2020 hatte ich dazu eine Analyse gemacht und geschrieben: „Der US-Präsident könnte 2024 wieder Donald Trump heißen“. Schon damals wies ich auch auf die Bedeutung der Popular Vote hin, um das Ergebnis einzuschätzen: „Trump ist nicht nur gegenüber seinem eigenen Ergebnis von 2016 enorm stärker geworden. Er war auch der bisher stärkste republikanische Kandidat überhaupt.“
Und schon im November 2020 warnte ich in Hinblick auf die Wahlen 2024 auch: „Dagegen könnte die Biden-Administration nach schwacher Performance Mobilisierungsprobleme haben.“
Doch, wie gesagt, auch die Demokraten haben seit 2016 enorm zugelegt. 2016 waren es 65,8 Millionen, 2020 dann enorme 81,2 Millionen. Und auch 2024 bekamen die Demokraten immerhin noch 75 Millionen. Deutlich mehr als 2016. Aber knapp zu wenig, um gegen Trump zu gewinnen.
Da fehlt doch etwas
Was für den Sieg gereicht hätte, ist schwer zu beurteilen, weil es auf solche Fragen kaum je einfache Antworten gibt. Doch was sicherlich geholfen hätte: Eine klare Erzählung, die nicht nur „gegen Trump“ ist. Ein Gegenmodell zu Rassismus und Verschwörungserzählungen benötigt eben auch soziale Alternativen – die nicht nur als „Versprechen“ vor der Wahl hervorgeholt werden.
Und da tun sich die US-Demokraten als traditionelle Partei des „Big Business“ naturgemäß schwer. Was im US-Zweiparteiensystem weiterhin offensichtlich fehlt: Eine Partei, die glaubwürdig die sozialen Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung vertritt. Und darin liegt wohl das eigentliche Problem. Für die Demokraten und für viele Menschen in den USA.
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